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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Diesmal wußte sie sofort, daß sie Englisch gesprochen hatte.
    »Laß nur«, beruhigte sie Oha, »ich würde auch lachen, wenn ich du wäre und mich Englisch radebrechen hörte. Deshalb hätte ich ja gern David Copperfield zum Freund.«
    »Warum?«
    »Um mich hier ein kleines Stück zu Hause zu fühlen.«
    Regina teilte erst die einzelnen Worte in Silben auf und fügte sie dann wieder zusammen. Sie übersetzte sie sogar in ihre Sprache, aber es gelang ihr nicht, dahinterzukommen, weshalb Oha sie aus seiner Kehle gelassen hatte.
    »Du bist doch hier zu Hause«, sagte sie.
    »So kann man es nennen.«
    »Es ist doch deine Farm«, bohrte Regina. Sie spürte, daß Oha ihr etwas sagen wollte, doch er steckte nur seine Zunge zwischen die Lippen, ohne daß ihm ein Ton gelang, und so wiederholte sie: »Du bist hier zu Hause. Es ist deine Farm. Alles hier ist so schön.«
    »Pro transeuntibus, Regina. Verstehst du das?«
    »Nein, Papa sagt, das Latein, das ich in der Schule lerne, ist für den Hund.«
    »Für die Katz. Frag deinen Vater, was >pro transeuntibus< heißt, wenn du wieder in Nairobi bist. Der kann dir's genau erklären. Er ist ein kluger Mann. Der Klügste von uns allen, aber keiner traut sich, das zuzugeben.«
    Es waren Ohas Stimme und auch seine Augen, die Regina die Gewißheit gaben, daß Oha, genau wie ihr Vater, von Wurzeln, Deutschland und Heimat reden wollte. Sie machte ihre Ohren bereit für die vertrauten, ungeliebten Töne.
    Da kam Lilly herein. »Das Kalb«, lachte sie und preßte ihren
    Mund zu einer kleinen, roten Kugel, »hat seinem Namen schon alle Ehre gemacht.«
    Oha lachte zurück, als er fragte: »Kann es schon die Kleine Nachtmusik muhen?«
    Lilly kicherte mit Musik und machte ihre Augen groß, doch sie merkte trotzdem nicht, daß bei ihrem Mann die Fröhlichkeit nur aus dem Mund gekommen war. Sie rieb ihre Hände aneinander, als wollte sie klatschen, und sagte: »Ich muß mich zur Feier des Tages fein machen.«
    »Unbedingt«, stimmte Oha zu.
    Ohne daß sie es wollte, schaute Regina ihn an und wußte, daß er von der Safari, von der Lilly nichts ahnte, noch nicht zurückgekommen war. Ihre Haut wurde zu kalt, und sie kam sich vor, als hätte sie ihr Ohr an das Loch einer fremden Wand gedrückt und dabei Dinge erfahren, die sie nicht wissen durfte. Regina brauchte Kraft, um sich gegen das Bedürfnis zu wehren, aufzustehen und Oha zu trösten, wie sie es bei ihrem Vater tat, wenn ihn Wunden aus seinem früheren Leben quälten. Eine Zeitlang gelang es ihr gut, jede Bewegung in ihrem Körper zu unterdrücken, aber ihre Beine gaben keine Ruhe und besiegten schließlich doch noch ihren Willen.
    »Ich gehe mit Max raus«, sagte sie. Obwohl sie sonst immer beide Hände brauchte, um ihren Bruder zu halten, machte sich die eine frei und glitt über Ohas Kopf.
    Die geschnitzten Löwen auf dem Stuhl wurden von der Sonne gewärmt, die nur noch einen kurzen Schatten hatte. Die Zedern hatten den Regen der Nacht in Stamm und Wurzel geholt. Wann immer sich ein Ast bewegte, hielt Regina Ausschau nach den Affen, aber sie hörte nur die Geräusche, die ihr anzeigten, daß die Affenmütter nach ihren Jungen riefen.
    Eine Zeitlang dachte sie an Owuor und den schönen Streit ihrer Kindertage, ob Affen klüger seien als Zebras oder nicht, doch als ihr Herz zu rasen anfing, merkte sie, daß ihr Vater dabei war, Owuor zu verdrängen. Zum erstenmal seit ihrer Ankunft in Gilgil bedrängte sie Sehnsucht nach zu Hause. Sie sagte das Wort ein paarmal vor sich hin, erst noch fröhlich in Englisch, dann widerstrebend in Deutsch. In beiden Sprachen brummten die Silben wie eine mit Ärger getränkte Biene.
    Mozart wurde von den beiden Hirtenjungen, die nur die Sprache der Kühe, nicht jedoch die der Menschen hörten, auf das Gras gelockt. Desdemona schob ihren Sohn sanft mit ihrem großen Kopf vor sich hin, blieb in einem Fleck von Sonne stehen und leckte sein weiches Fell zu kleinen, hellbraunen Lokken. Ein Glanzstar ließ sich auf Desdemonas Rücken nieder. Das strahlende Blau seiner Federn machte die Augen blind für jede andere Farbe.
    In einem langen weißen Kleid, das den Hals mit einem Berg von Rüschen umschloß, trat Lilly hinter einem Busch von gelben Rosen hervor. Sie sah aus, als hätte sie bereits Mungos Befehl empfangen, zum Himmel zu fliegen, doch sie rührte sich nicht, bis das Kalb zu saugen anfing. Dann ließ sie die Luft aus ihrer Kehle, hob ihren Kopf, faltete ihre Hände und sang »Dies Bildnis ist

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