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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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vergessen, was an dem Tag war, bevor die Heuschrek-ken kamen. Du hast damals gedacht, ich habe nicht kapiert, was du erzählt hast, aber ich bin nicht so dumm, wie du denkst. Regina kann auch noch lesen lernen, wenn sie sieben ist. Jetzt brauchen wir das Geld für Mutter und Käte.«
    »Wie stellst du dir das vor?«
    »Wir haben hier genug zum Sattwerden. Warum kann es nicht eine Weile so bleiben? Ich hab's genau ausgerechnet. Wenn wir das Geld nicht anrühren, haben wir in siebzehn Monaten die hundert Pfund zusammen, um Mutter und Käte herzuholen. Und noch zwei Pfund übrig. Du wirst sehen, wir schaffen das.«
    »Wenn nichts geschieht.«
    »Was soll denn geschehen? Hier geschieht doch nie etwas.«
    »Aber in der restlichen Welt, Jettel. Es sieht schlimm aus zu Hause.«
    Jettels Eifer und Bereitschaft zum Verzicht, der Jubel, mit dem sie jeden Monat die sechs Pfund in ein Kästchen legte und immer wieder zählte, die Zuversicht, ihr würde es gelingen, die rettende Summe rechtzeitig zusammenzubekommen, waren für Walter schwerer zu ertragen als die Nachrichten, die er am Tag jede Stunde und oft auch in der Nacht hörte.
    Die Abstände zwischen den Briefen aus Breslau und Sohrau wurden länger, die Briefe selbst, bei allem Bemühen, Angst zu verschweigen, so besorgniserregend, daß Walter sich oft fragte, ob seine Frau wirklich nicht merkte, daß Hoffnung Frevel war. Manchmal glaubte er sie tatsächlich arglos, war gerührt und beneidete sie. Wenn die Niedergeschlagenheit ihn jedoch so peinigte, daß er nicht einmal mehr Dankbarkeit für seine eigene Rettung empfinden konnte, schlug seine Verzweiflung um in Haß auf Jettel und ihre Illusionen.
    Der Vater hatte von vergeblichen Versuchen, das Hotel zu verkaufen, geschrieben, daß er kaum noch ausgehe und daß nur noch drei jüdische Familien in Sohrau lebten, es ihm aber den
    Umständen nach gutgehe und er nicht klagen wolle. Einen Tag nach dem Brand der Synagogen schrieb er: »Liesel kann vielleicht nach Palästina auswandern. Wenn ich sie nur überreden könnte, sich von mir altem Esel zu trennen.« Seit dem 9. November 1938 hatte der Vater in seinen Briefen auch die zuversichtlichen Beschwörungen »Bis wir uns wiedersehen« gestrichen.
    Den Briefen aus Breslau war in jeder Zeile die Angst vor Zensur anzumerken. Käte sprach von Einschränkungen, die »uns sehr zu schaffen machen« und erwähnte jedesmal gemeinsame Freunde, die »plötzlich verreisen mußten und nichts mehr von sich hören lassen«. Ina berichtete, daß sie keine Zimmer mehr vermieten konnte und schrieb »ich gehe nur noch zu bestimmten Zeiten aus dem Haus«. Das Geschenk zu Reginas Geburtstag im September war im Februar aufgegeben worden. Walter begriff die verschlüsselte Botschaft mit Schaudern. Seine Schwiegermutter und Schwägerin wagten nicht mehr, in größeren Zeiträumen zu rechnen, und hatten die Hoffnung aufgegeben, noch aus Deutschland herauszukommen.
    Er litt an seiner Pflicht, Jettel mit der Wahrheit zu konfrontieren, und wußte, daß es Sünde war, es nicht zu tun. Wenn sie aber ihr Geld zählte und dabei wie ein Kind aussah, das die Erfüllung seiner Wünsche genau berechnet hat, ließ er jede Gelegenheit zur Aussprache ungenutzt. Sein Schweigen empfand er als Kapitulation, seine Schwäche ekelte ihn. Er ging nach Jettel ins Bett und stand vor ihr auf.
    Die Zeit schien stillzustehen. Mitte August brachte Süßkinds Boy einen Brief mit der Mitteilung: »Jetzt haben wir endgültig das verfluchte Ostküstenfieber in Sabbatia. Vorerst ist es nichts mehr mit Schabbes. Ich muß für meine Kühe beten und versuchen, ob ich hier noch etwas retten kann. Falls bei Dir die Kühe im Kreis herumlaufen sollten, ist es zu spät. Dann ist die Seuche schon in Rongai.«
    »Warum«, fragte Jettel aufgebracht, als Walter ihr den Brief zeigte, »kann er denn nicht kommen? Er ist doch nicht krank.«
    »Er muß wenigstens auf der Farm sein, wenn seine Kühe krepieren. Auch Süßkind hat Angst um seine Stellung. Es kommen immer mehr Refugees ins Land und wollen auf den Farmen unterkommen. Das macht jeden von uns noch leichter ersetzbar.«
    Süßkinds Besuche am Freitag waren der Höhepunkt der Woche gewesen, die Erinnerung an ein Leben mit Gesprächen, Abwechslung, gegenseitigem Geben und Nehmen, ein Funken Normalität. Nun waren Vorfreude und Freude dahin. Je eintöniger das Leben wurde, desto mehr dürstete Jettel nach Süßkinds Berichten aus Nairobi und Nakuru. Er wußte stets, wer neu ins Land

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