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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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gekommen und wo er untergekommen war. Noch mehr vermißte sie seine gute Laune, die Scherze und Komplimente, den Optimismus, der ihn immer nach vorne schauen ließ und sie selbst in ihrem Vertrauen auf die Zukunft bestätigte.
    Walter litt noch mehr. Seitdem er auf der Farm war und erst recht nach seiner Malaria sah er in Süßkind den Retter aus lebensbedrohender Not. Er brauchte das selbstbewußte Naturell des Freundes, um nicht seinen depressiven Zuständen und der Sehnsucht nach Deutschland nachzugeben, die ihn an seinem Verstand zweifeln ließ. Süßkind war für ihn der Beweis, daß sich ein Mann mit dem Schicksal der Heimatlosigkeit abfinden konnte. Mehr noch: Er war sein einziger Kontakt zum Leben.
    Selbst Owuor jammerte, daß der Bwana Sabbatia nicht mehr auf die Farm kam. Keiner wackelte so gut mit dem Mund wie er, wenn der Pudding hereingetragen wurde. Niemand konnte so laut lachen wie der Bwana Sabbatia, wenn Owuor die Robe trug und dabei »Ich hab' mein Herz in Heidelberg verloren« sang. »Bwana Sabbatia«, klagte Owuor, wenn wieder ein Tag ohne Besuch zur Nacht wurde, »ist wie eine Trommel. Die  schlage ich in Rongai, und sie ruft vom Menengai zurück.«
    »Auch unser Radio vermißt Süßkind«, sagte Walter am Abend des 1. September. »Die Batterie ist futsch, und ohne daß er sein Auto laufen läßt, können wir sie nicht aufladen.«
    »Hörst du jetzt keine Nachrichten mehr?«
    »Nein, Regina. Die Welt ist für uns gestorben.«
    »Ist das Radio auch tot?«
    »Mausetot. Jetzt können nur noch deine Ohren wissen, was es Neues gibt. Also leg dich auf die Erde und erzähl mir was Schönes.«
    Freude und Stolz machten Regina schwindlig. Nach dem kleinen Regen hatte Owuor ihr beigebracht, sich flach und regungslos hinzulegen, um der Erde ihre Geräusche zu entlocken. Seitdem hatte sie oft Süßkinds Wagen gehört, ehe er zu sehen war, doch ihr Vater hatte ihren Ohren nie geglaubt, immer nur böse »Quatsch« gesagt und sich noch nicht einmal geschämt, wenn Süßkind tatsächlich gekommen war, nachdem sie ihn angekündigt hatte. Nun, da er keine Stimmen mehr aus einem toten Radio hörte, hatte er endlich begriffen, daß er ohne Reginas Ohren so taub wie der alte Cheroni war, der die Kühe zum Melken trieb. Sie fühlte sich stark und klug. Trotzdem ließ sie sich Zeit mit der Jagd auf jene Laute, die auf Safari über den Menengai mußten, ehe sie in Rongai zu hören waren. Erst am Abend nach dem Tod des Radios legte sich Regina auf den steinigen Pfad, der zum Haus führte, aber die Erde gab kein Geräusch frei außer dem Reden der Bäume im Wind. Auch am nächsten Morgen empfing sie nur Stille, aber um die Mittagszeit wurden ihre Ohren wach.
    Als sie der erste Laut erreichte, wagte Regina es nicht, ihn auch nur durch ihren Atem zu stören. Bis zum zweiten hätte nur die Zeit vergehen dürfen, die ein Vogel braucht, um von einem Baum zum nächsten zu fliegen. Der Ton ließ aber so lange auf sich warten, daß Regina fürchtete, sie hätte ihr Ohr zu hoch gehalten und nur die Trommeln im Wald gehört. Sie wollte aufstehen, ehe Enttäuschung ihre Kehle trocken machte, dann sprang sie ein Klopfen in der Erde jedoch so heftig an, daß sie sich sogar beeilen mußte. Dieses eine Mal durfte ihr Vater nicht denken, sie hätte den Wagen gesehen und nicht zuvor gehört.
    Sie hielt die Hände vor den Mund, um ihre Stimme schwer zu machen, und brüllte: »Schnell, Papa, Besuch kommt. Aber es ist nicht Süßkinds Auto.«
    Der Lastwagen, der den steilen Hang zur Farm heraufkeuchte, war größer als alle anderen, die je nach Rongai gekommen waren. Die Kinder liefen von den Hütten zum Haus und drängten ihre nackten Körper aneinander. Ihnen folgten die Frauen mit den Säuglingen auf dem Rücken, die jungen Mädchen mit Kalebassen voll Wasser und die von bellenden Hunden getriebenen Ziegen. Die Schambaboys warfen ihre Hacken hin und verließen die Felder, die Hirten ihre Kühe.
    Sie hielten die Arme über den Kopf, schrien, als seien die Heuschrecken zurückgekehrt, und sangen die Lieder, die sonst nur nachts von den Hütten herüberwehten. Das Gelächter der neugierigen und erregten Menschen stieß immer wieder in den Menengai hinein und kam als klares Echo zurück. Es verstummte so plötzlich, wie es begonnen hatte, und in dieser Stille kam der Lastwagen zum Stehen.
    Erst sahen alle nur eine feine Wolke von roter Erde, die gleichzeitig hochstieg und vom Himmel fiel. Als sie sich auflöste, wurden die Augen groß und

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