Nirgendwo in Afrika
Owuor und Aja zu holen, und knabberte so lange an Rummlers Ohr, bis er kleine, leise Freudenlaute ausstieß. Da hörte sie ihren Vater sagen: »Vielleicht weißt du, was Morrison gesagt hat?«
Regina wollte das Vergnügen, daß sie endlich im neuen Kreislauf der fremden Worte, Kopfschütteln und Schulterwak-keln mitspielen durfte, noch ein wenig auskosten. Ihre Eltern rochen immer noch wie Rummler, wenn er zu lange auf sein Futter warten mußte. So machte sie schon mal den Mund auf, streifte den Serviettenring über ihre Hand und schob ihn Stück für Stück zum Ellbogen. Es war gut, daß sie von Owuor gelernt hatte, Laute einzufangen, die sie nicht verstand. Man mußte sie nur im Kopf einsperren und von Zeit zu Zeit herausholen, ohne den Mund aufzumachen.
»Every month«, erinnerte sie sich, doch sie ließ sich zu lange vom Staunen ihrer Eltern streicheln und versäumte so den richtigen Moment, um den Zauber zu wiederholen. Trotzdem wurden ihre Ohren belohnt, als ihr Vater sie lobte: »Du bist ein kluges Kind.« Dabei sah er aus wie der weiße Hahn mit dem blutroten Kamm. Doch verwandelte er sich zu schnell in den
Vater mit den roten Augen der Ungeduld zurück, nahm das Buch vom Tisch, legte es jedoch sofort wieder hin, rieb die Hände aneinander und seufzte: »Ich bin ein Kamel. Ein richtiger Nebbich von einem Kamel.«
»Warum?«
»Man muß die Worte, die man im Lexikon sucht, auch buchstabieren können, Regina.«
»Dein Vater hat zu wenig Mumm, er denkt, und ich handle«, sagte Jettel. »Aver«, las sie vor, »heißt sich behaupten. Aviary ist ein Vogelhaus. Das ist ja noch blöder. Dann gibt es noch avid. Heißt begierig.«
»Jettel, das ist Mumpitz. So schaffen wir das nie.«
»Wozu ist denn ein Lexikon gut, wenn man nichts drin findet?«
»Also gut. Gib her. Jetzt schlage ich bei E nach. Evergreen«, las Walter, »heißt immergrün.«
Regina merkte zum erstenmal, daß ihr Vater noch besser spucken konnte als Owuor. Sie nahm ihre Hände von Rummlers Kopf und klatschte.
»Halt den Mund, Regina. Verdammt noch mal, das ist kein Kinderspiel. Evergreen wird es sein. Natürlich, Morrison hat von seinen immergrünen Maisfeldern gesprochen. Komisch, so etwas hätte ich ihm nie und nimmer zugetraut.«
»Nein«, sagte Jettel, und ihre Stimme wurde sehr leise, »ich hab's. Wirklich, ich hab's. Every heißt jeder, jeden, jedes. Du, Walter, every month muß jeden Monat heißen. Es kann gar nicht anders sein. Soll das etwa bedeuten, daß er uns jeden Monat sechs Pfund geben will?«
»Ich weiß es nicht. Wir müssen warten, ob sich das Wunder wiederholt.«
»Immer sprichst du von Wunder.« Regina lauerte, ob ihr Vater erkennen würde, daß sie die Stimme ihrer Mutter nachgeahmt hatte, aber weder ihre Augen noch ihre Ohren machten
Beute.
»Diesmal hat er recht«, flüsterte Jettel, »er muß einfach recht haben.« Sie stand auf, zog Regina an sich und gab ihr einen Kuß, der nach Salz schmeckte.
Das Wunder wurde Wirklichkeit. Am Anfang eines jeden Monats kam Mr. Morrison auf die Farm, trank erst zwei Tassen Tee, besuchte seine Hühner und Kühe, ging zu den Maisfeldern, kam zurück für die dritte Tasse Tee und legte schweigend sechs einzelne Pfundnoten auf den Tisch.
Jettel konnte ihren Stolz aufblähen wie Owuor, wenn vom Schicksalstag die Rede war, der das Leben in Rongai verändert hatte. »Siehst du«, sagte sie dann, und Regina sprach die vertrauten Worte mit, ohne ihre Lippen zu bewegen, »was nützt dir deine ganze schöne Bildung, wenn du noch nicht einmal Englisch gelernt hast?«
»Nichts, Jettel, nichts, so wenig wie meine Robe.«
Wenn Walter das sagte, waren seine Augen nicht mehr so müde wie in den Monaten zuvor. An guten Tagen sahen sie aus wie vor der Malaria, und dann lachte er auch, wenn Jettel ihren Sieg auskostete, nannte sie »mein kleiner Owuor« und genoß in den Nächten die Zärtlichkeit, die sie beide schon für immer verloren gewähnt hatten.
»Sie haben mir in der Nacht einen Bruder gemacht«, erzählte Regina unter dem Dornenbaum.
»Das ist gut«, sagte Aja, »Suara wird kein Kind mehr.«
Abends schlug Walter vor: »Wir schicken Regina zur Schule. Wenn Süßkind das nächstemal in Nakuru ist, soll er sich erkundigen, wie man das macht.«
»Nein«, wehrte Jettel ab, »noch nicht.«
»Aber du hast doch so gedrängt. Und ich will es ja auch.«
Jettel merkte, daß ihre Haut zu brennen anfing, aber sie schämte sich nicht ihrer Verlegenheit. »Ich habe«, sagte sie, »nicht
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