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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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machte.
    Walter erzählte Süßkind von seinem ersten Prozeß in Leob-schütz und wie er anschließend den unerwarteten Erfolg mit Greschek bei einem Schlachtfest in Hennerwitz begossen hatte. Süßkind versuchte, sich an Pommern zu erinnern, aber er verwechselte bereits die Jahre, Orte und Menschen, die er aus sei-nem Gedächtnis holte.
    »Wartet ab«, sagte er, »das wird euch bald auch so gehen. Das große Vergessen ist das Beste an Afrika.«
    Am Tag danach kam Mr. Morrison auf die Farm. Es gab keinen Zweifel, daß die Rettung der Ernte auch in Nairobi bekannt war, denn er reichte Walter die Hand, was er noch nie getan hatte. Noch auffallender war, daß er im Gegensatz zu seinen früheren Besuchen nun auch Jettels Zeichen verstand, die für ihn Tee gemacht hatte. Er trank ihn aus der Rosenthal-tasse mit den bunten Blumen und schüttelte jedesmal den Kopf, wenn er sich mit der silbernen Zange Zucker aus der Porzellandose nahm.
    Als Mr. Morrison von den Kühen und Hühnern zurück ins Haus kam, nahm er den Hut ab. Sein Gesicht wirkte jünger; er hatte hellblondes Haar und buschige Augenbrauen. Er bat um eine dritte Tasse Tee. Eine Weile spielte er mit der Zuckerzange, und wieder schüttelte er den Kopf. Dann stand er plötzlich auf, ging an den Schrank mit dem lateinischen Wörterbuch und der Encyclopaedia Britannica, holte einen Serviettenring aus Elfenbein aus der Schublade und drückte ihn Regina in die Hand.
    Der Ring erschien ihr so schön, daß sie ihr Herz klopfen hörte. Sie hatte sich aber so lange nicht mehr für ein Geschenk bedanken müssen, daß ihr nichts einfiel, außer »sente sana« zu sagen, obwohl sie wußte, daß ein Kind mit einem so mächtigen Mann wie Mr. Morrison nicht Suaheli sprechen durfte.
    Ganz falsch war es aber wohl doch nicht, denn Mr. Morrison zeigte beim Lachen zwei goldene Zähne. Regina lief voller Spannung aus dem Haus. Zwar hatte sie Mr. Morrison schon oft gesehen, aber er hatte kein einziges Mal gelacht und sie auch kaum bemerkt. Wenn er sich so sehr verändert hatte, war er vielleicht doch ihr Reh, das zurück in einen Menschen verzaubert worden war.
    Suara schlief unter dem Dornenbaum. Die Erkenntnis, daß in dem weißen Ring keine besondere Kraft steckte, nahm ihm ein wenig von seiner Schönheit. So flüsterte Regina nur »das nächstemal« in Suaras Ohr, wartete, bis das Reh seinen Kopf bewegte, und ging langsam zurück ins Haus.
    Mr. Morrison hatte seinen Hut aufgesetzt und sah aus wie immer. Er machte aus seiner rechten Hand eine Faust und schaute zum Fenster hinaus. Einen Moment wirkte er ein bißchen wie Owuor am Tag, als die Heuschrecken kamen, doch er holte keinen flügelschlagenden, kleinen Teufel aus seiner Hose heraus, sondern sechs Geldscheine, die er einzeln auf den Tisch legte.
    »Every month«, sagte Mr. Morrison und ging zu seinem Wagen. Erst heulte der Anlasser, dann Rummler, und schon kam die Staubwolke, in der das Auto verschwand.
    »Mein Gott, was hat er bloß gesagt? Jettel, hast du ihn verstanden?«
    »Ja. Also fast. Month heißt Monat. Das weiß ich genau. Wir haben das Wort im Kurs gehabt. Ich war auch die einzige, die es richtig aussprechen konnte, aber glaubst du, das Ekel von Lehrer hat mich gelobt oder wenigstens mit dem Kopf genickt?«
    »Das ist doch jetzt ganz unwichtig. Was heißt das andere Wort?«
    »Brüll doch nicht gleich. Das haben wir auch gehabt, aber ich kann mich nicht erinnern.«
    »Du mußt. Das hier sind sechs Pfund. Das hat doch was zu bedeuten.«
    »Month heißt Monat«, wiederholte Jettel.
    Sie waren beide so erregt, daß sie sich eine Zeitlang immer nur die Scheine zuschoben, sie auf den Tisch blätterten und mit den Schultern zuckten.
    »Mensch, wir haben doch ein Lexikon«, fiel es Jettel endlich ein. Sie kramte aufgeregt ein Buch mit gelb-rotem Einband aus einer Kiste. »Hier, tausend Worte Englisch«, lachte sie. »Tausend Worte Spanisch haben wir auch.«
    »Die nutzen uns nichts mehr. Spanisch war doch für Montevideo. Soll ich dir mal was verraten, Jettel? Wir sind beide im Beruf gestorben. Wir wissen überhaupt nicht, nach welchem Wort wir suchen müssen.«
    Erregt von der Erwartung, die ihre Haut verbrannte, setzte sich Regina auf den Boden. Sie begriff, daß ihre Eltern, die immerzu ein einzelnes Wort aus der Kehle holten und dabei wie Rummler rochen, wenn er hungrig war, ein neues Spiel erfunden hatten. Um die Freude lange zu genießen, war es besser, nicht selbst mitzumachen. Regina unterdrückte auch den Wunsch,

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