Nixenblut
neuer Helligkeit. Ich atme. Ich bin unter Wasser, doch ich atme. Ich fühle mich kühl und leicht und frei. Warum hatte ich solche Panik? Ich atme tief unter Wasser. Alle Angst ist verflogen.
Das Meer flutet durch meine Haare, während wir immer tiefer hinabtauchen – wie Schwalben, die am Sommerhimmel vorüberziehen. Meine Hand ist immer noch an Faros Handgelenk, aber ich klammere mich nicht mehr krampfhaft
fest. Meine Füße bilden eine Einheit, als hätte ich Flossen, und mein freier Arm zieht kraftvoll durch das Wasser. Wie schnell wir schwimmen! Der Meeresgrund rauscht unter uns vorbei, als würden wir im Leerlauf bergab fahren.
»Ich atme!«, sage ich verwundert. »Faro, ich kann atmen!«
Faro lacht.
»Du bist zwar noch keine Mer, Sapphire. Aber ich lasse dich zu uns herein, dann bist du in Sicherheit. Ich pass auf dich auf. Wenn du willst, kannst du jetzt mein Handgelenk loslassen.«
»Nein… lieber noch nicht.«
»Mach dir keine Sorgen. Ich lasse dich zu uns herein. Solange ich bei dir bin, kann dir nichts passieren.«
Für einen Augenblick löse ich meine Hand von seinem Arm, um sofort wieder zuzupacken. Ich bin noch nicht bereit, alleine zu schwimmen – in dieser sonderbaren Welt, die aus nichts als Wasser besteht.
Seite an Seite jagen wir voran. Die Sonnenstrahlen brechen durch die Wasseroberfläche und erzeugen Säulen aus Licht und Schatten. Unter uns schimmert weißer Sand. Der Strom der Gezeiten hat tiefe Wellen hineingegraben. Es sieht aus wie umgepflügtes Land.
»Schau mal, dort oben!«, sagt Faro. Ich hebe meinen Kopf und sehe eine zitternde Haut aus Licht.
»Das ist die Wasseroberfläche«, sagt Faro. »Darüber ist die Luft.«
»Oh, es sieht so weit weg aus. Kann ich dorthin zurück, wenn ich will?«
»Aber natürlich«, antwortet Faro. Dennoch sehe ich einen neuen Zug in seinem Gesicht. Ist es Zweifel oder Angst?
»Was ist los, Faro? Ich kann doch zurück, oder?«
»Wenn du zurückwillst, kannst du das tun. Aber es wird schmerzhaft sein – hier!« Faro hält sich die freie Hand an die Rippen, dorthin, wo ich das glühende Band gespürt habe, als wir ins Wasser tauchten. Ich spüre an seinem Handgelenk, dass ein Schauer durch seinen Körper geht.
»Genau dort hat es wehgetan, als wir zusammen getaucht sind. Aber da bin ich ins Wasser hinein , nicht aus ihm heraus. «
»So ist das für Menschen. Manche ertrinken dabei.«
»Manche?«
»Nun, die meisten. Fast alle. Wir warnen sie immer wieder, aber die hören nicht zu. Sie können die Luft nicht herauslassen, deshalb ertrinken sie. Bei uns Mer ist es umgekehrt. Ihr ertrinkt im Wasser. Wir können an der Luft ertrinken.«
»Aber du warst doch an der Luft, als wir uns trafen. Und dir ging es gut.«
Faro runzelt die Stirn. »Einige von uns können das. Es gibt Gründe …« Er hält inne.
»Was für Gründe?«
»Ach, nichts. Aber es tut weh, wenn man die Haut durchdringt. Es ist gefährlich.«
»Welche Haut?«
»Schau nach oben!« Faro deutet auf die leuchtende, weit entfernte Oberfläche. »Das ist die Haut. Durch die muss man hindurch. Das schmerzt. Jeder Wechsel ist schmerzhaft. «
»Wenn ich zurückkehre, wird es also auch wehtun?«
»Nein, nicht bei dir. Du bist doch ein Mensch, oder? Aber jetzt bist du erst mal hier. Bei Faro in Sicherheit.« Faro löst lächelnd meine Finger von seinem Handgelenk. »Versuch’s
noch einmal. Du brauchst mich nicht mehr. Das bildest du dir nur ein mit deiner Menschenlogik.«
Wir bewegen uns nicht mehr. Im tiefen Wasser treibe ich vor mich hin. Meine Haare fließen über mein Gesicht. Das Meer wiegt mich wie ein Baby. Es macht mir keine Angst mehr. Ich schaukele in der Hängematte des Meeres. Faro hat Recht. Das Meer wird mich beschützen. Langsam lösen sich meine Finger von seinem Handgelenk. Ich ziehe meine geöffneten Handflächen durch das Wasser.
Plötzlich schlägt Faros Unterleib aus, worauf er einen perfekten Salto macht. Wieder und wieder, schneller und schneller, bis nur noch ein wirbelnder Kreis zu sehen ist – bestehend aus dem Oberkörper eines Menschen und dem Unterleib einer Robbe.
»Jetzt du, Sapphire!«
»Ach, ich kann das nicht.«
Ich breite meine Arme aus und bewege mich, wie ich mich nie zuvor im Meer bewegt habe. Ich quäle mich nicht mühsam über die Wasseroberfläche, wie das Menschen eben tun, wenn sie brust- oder rückenschwimmen. Die Haut des Meeres hat sich geöffnet und mich hineingelassen. Ich lebe im Meer. Ich bin ein Teil des Meeres.
»Lass uns
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