Nixenblut
deinem eigenen Bett schlafen.«
»Ich will mich ja nur ein bisschen ausruhen.«
»Nein, Saph, nicht hier. Wir sind zu …« Conor hält inne und schaut sich prüfend um. Eine Möwe sitzt auf einem Stein in der Nähe und hat ihren schwarzen Kopf auf die Seite gelegt. Wäre sie keine Möwe, würde man denken, sie hört uns zu. Conor flüstert: »Wir sind zu nah.«
»Wie meinst du das?«
»Zu nah an Indigo. Bald wird die Flut ihren höchsten Punkt erreicht haben.«
Ich weiß, was passiert, wenn die Flut ihren höchsten Punkt erreicht. Dann schlagen die Wellen direkt unterhalb des Felsvorsprungs an die Steine. In Jahrhunderten hat das Meer tiefe Spalten und Löcher in den Fels gegraben. Wenn das Wasser in sie hineinschießt, peitscht die Gischt zischend empor. Das Meer brüllt wie ein Löwe direkt unter deinen Füßen, während du spürst, wie der Granit unter den Wellen erbebt.
Conor hat Recht. Die Luft und Indigo sind beide sehr nah. Und an diesem Strand treffen sie aufeinander. Conor und ich befinden uns an der Grenze zwischen den beiden Welten. Ich betrachte das leuchtende Meer und denke an Indigo. All das Leben, die Farben und Geschöpfe von Indigo sind mir so nah, dass ich nur die Hand auszustrecken brauche …
Und ehe ich mir darüber im Klaren bin, habe ich mich bereits vorwärts bewegt, der Kante des Felsvorsprungs entgegen.
»Saph!«
Die Möwe öffnet ihren Schnabel und stößt einen schrillen Schrei aus, als Conor meinen Arm packt und mich zurückzieht.
»Komm, Saph, wir müssen nach Hause.«
Zehntes Kapitel
A llmählich komme ich zu mir. Ich bin in meinem Zimmer, liege in meinem Bett. Der Schlaf will mich nicht verlassen und mein Kopf ist immer noch wie umnebelt von meinen Träumen. Sonderbare Träume, die realistischer waren als das Leben am Tage. Ich träumte von einer großen, tief unter den Klippen gelegenen Höhle. Dort schlief ich in einem Bett aus samtweichen Algen, während eine warme Strömung mein Gesicht liebkoste. Der Traum war so wirklich, dass ich immer noch die samtigen Algen wie Federn an meiner Haut spüre.
Doch tatsächlich liege ich unter meiner alten blauen Bettdecke. Wenn ich das Tageslicht richtig beurteile, ist es später Morgen. Unten höre ich Mum reden. Ich stemme mich auf die Ellenbogen und lausche ihrer Stimme, doch höre ich niemanden antworten. Vermutlich telefoniert sie. Ich verstehe auch nicht, was sie sagt, aber dann bin ich mir plötzlich sicher, mit wem sie spricht. Bestimmt mit Roger, diesem Taucher. Dem Mann, der am Sonntag hierher kommen will. Mum plappert in einer Tour, als würde sie Roger schon seit Jahren kennen und hätte ihm tausend Dinge zu erzählen. Zwischendurch lacht sie.
Roger der Taucher. Mum mag ihn, man hört es ihr an. Doch Faro hasst Taucher. Was hat er noch über sie gesagt ?
Diese Taucher bringen ihre eigene Luft mit, um in Indigo zu spionieren . Er hält sie für Spione.
Ich bin froh, dass Faro sie hasst. Nachdem Mum mir erzählt hat, dass dieser Roger uns am Sonntag besuchen will, können mir Taucher ebenfalls gestohlen bleiben. Ich finde, die sollten sich von Orten fern halten, an denen sie nicht willkommen sind.
Mum meint, ich solle aufhören, auf Dads Rückkehr zu hoffen. Sie sagt, ich müsse mich um mein eigenes Leben kümmern. Natürlich weiß ich, dass sie mir nur helfen will, aber das ist keine Hilfe. Ich fürchte, dass sie aufgehört hat, auf Dads Rückkehr zu hoffen. Sie glaubt nicht mehr an seine Rückkehr und richtet sich auf ein Leben ohne ihn ein.
Aber das kann sie doch nicht machen. Ich werde das nicht zulassen. Ich muss Mum davon überzeugen, dass Dad nicht tot oder einfach abgehauen ist – zum Beispiel nach Australien – , obwohl es genau das ist, was manche Leute glauben. Sie flüstern sich etwas zu über Dad, und wenn Conor und ich ihnen zu nahe kommen, dann hören sie auf zu tuscheln und werfen uns verschmitzte Blicke zu. Als wollten sie damit sagen: Wir wissen was, das ihr nicht wisst.
Ich drehe mich auf die Seite und schlage wütend auf das Kissen ein. Josie Sancreed hat sich nicht einmal die Mühe gemacht zu flüstern. Auf dem Schulhof hat sie sich zu mir umgedreht und laut gesagt: »Jeder denkt, dass dein Dad ertrunken ist, und du tust ihnen auch allen sehr Leid, aber meine Mum sagt, dass er wahrscheinlich mit irgendeiner Frau durchgebrannt ist.«
Mit irgendeiner Frau durchgebrannt . Ich konnte nicht glauben, dass Josie das wirklich gesagt hat. Die Worte
schmerzten, als wäre ich mit dem Fahrrad auf dem
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