Nixenblut
Erinnerung Unbehagen bereiten.
Conor nimmt schweigend meine andere Hand und hält sie fest. Das tut er sonst nie. Dann berührt er Granny Carnes Arm, sodass wir alle drei in einem Kreis verbunden sind. Mit der Erde verbunden. Der Weg riecht nach Staub und Brombeeren. Ich habe kein Verlangen mehr, auf die andere Seite von Granny Carne zu gelangen. Ich möchte nur noch hier sein, geborgen bei ihr und Conor, während die Sonne uns wärmt.
Ein Lächeln macht sich auf Granny Carnes gebräuntem Gesicht breit. Sie mag Conor, ich weiß es. Und Conor mag sie auch. Sie mögen sich, weil sie einander ähneln.
Aber wie kann das sein? Granny Carne ist so alt wie die Berge. Conor ist mein Bruder. Sie ist eine seltsame Frau, hoch aufgeschossen, voller Falten und Runzeln, und als Dad von Erdmagie sprach, fiel es nicht schwer, ihm zu glauben. Conor ist ein ganz normaler Junge. Dennoch sind sie aus demselben Holz geschnitzt.
Der Kreis hält. Ich habe das Gefühl, dass wir drei eine Ewigkeit miteinander verbunden sind, obwohl es vielleicht nur ein paar Sekunden dauert. Dann höre ich das Bellen eines Hundes. Ich blicke rasch auf, weil es sich nach Sadie anhört. Was tut sie hier?
Tatsächlich, es ist Sadie! Sie rennt auf mich zu, rutscht mir auf ihren Pfoten entgegen und sieht sehr zufrieden mit sich aus. Ich knie mich neben sie, schlinge die Arme um ihren Hals und schmiege meine Wange an ihr Gesicht. Sie zittert vor Erregung, ihr Fell ist warm von der Sonne.
»Was machst du denn hier, Sadie? Bist du ganz alleine gekommen ? Das ist gefährlich, du kommst uns noch unters Auto…«
Sadie hechelt und bebt vor Freude, uns gefunden zu haben. Sie hat es ganz allein geschafft, die kluge Sadie. Trotz all der anderen Gerüche nach Kühen, Füchsen, Hühnern und Autos hat sie uns ausfindig gemacht. Die Welt der Gerüche ist für sie wie eine Bibliothek mit tausend Büchern.
»Gutes Mädchen, schlaues Mädchen, jetzt beruhige dich, du bist viel zu schnell gelaufen bei dieser Hitze.« Ich umarme sie ein weiteres Mal, dann stehe ich auf und halte sie an ihrem Halsband fest, damit sie nicht plötzlich wieder davonläuft. Sie schmiegt sich an meine Beine, blickt mit ihren intelligenten braunen Augen zu mir auf und bellt ein paarmal kurz und scharf.
»Wir müssen sie mit nach Hause nehmen«, sagt Conor.
Plötzlich wird mir bewusst, dass Conor und ich mit Sadie allein sind. Granny Carne ist verschwunden. Wann ist sie gegangen? Conor zuckt die Schultern. »Du weißt doch, wie sie ist.«
»Komm, Sadie, wir gehen zu uns, und ich schau mal, was
ich als Leine verwenden kann. Dann bringe ich dich nach Hause. Sie fragen sich bestimmt schon, wo du nur steckst.«
Sadie legt nachdenklich ihren Kopf auf die Seite. Sie liebt »Spaziergänge«, doch sie weiß auch, dass dies das Ende ihrer Freiheit bedeutet.
»Erst mal kriegst du eine Schüssel mit Wasser. Wir müssen die ganze Zeit bergauf gehen, du wirst also sehr durstig werden.«
Wir spazieren nach Hause, Sadie dicht an meiner Seite, Conor dahinter.
Ich bin schrecklich hungrig. Warum habe ich nur die Würstchen nicht gegessen? Vielleicht kann Conor Jack anrufen und ihm Bescheid sagen, dass Sadie bei uns ist. Dann könnten wir erst mal was essen, bevor wir sie zurückbringen. Was haben wir noch für Vorräte da? Vor meinem inneren Auge sehe ich den Inhalt unseres Kühlschranks: Spagetti Bolognese, eine Tafel Schokolade, Eis mit Pekannüssen, eine Tüte Pfirsiche, die Mum von der Arbeit mitgebracht hat.
Plötzlich bleibt Sadie stehen. Ihre Hinterbeine sind starr, ihr Körper zittert. Ihr Kopf hebt sich in Richtung Meer. Sie stößt einen tiefen, kehligen Laut aus, gefolgt von wildem Bellen.
»Was ist, Sadie? Was kannst du hören?«
»Was auch immer es ist, sie scheint es nicht zu mögen«, sagt Conor. »Halt sie gut fest.«
Ich packe ihr Halsband mit beiden Händen. Sie zittert am ganzen Körper, versucht aber nicht wegzulaufen, sondern drückt sich ängstlich an mich.
»Ruhig, Sadie, ganz ruhig. Komm, wir sind ja schon da.«
Sadie weicht langsam zurück und zieht mich mit sich. Jaulend
starrt sie mich an, als wolle sie mich fragen, warum ich nicht höre, was sie hört.
Doch ich kann und will nichts hören. Ich halte mir die Ohren zu. Ich will, dass das aufhört. Stopp! Sofort aufhören! Ich höre einfach nicht hin. Spagetti Bolognese, Eis und Schokolade, Spagetti Bolognese, Eis und Schokolade, Spag …
»Saph, was machst du da? Warum hältst du dir die Ohren zu?«
»Schnell, Con,
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