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Nixenblut

Nixenblut

Titel: Nixenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Dunmore
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gerissen, ob ich sie essen soll oder nicht.
    »Iss sie!«, sagt Granny Carne. Ich schiebe die Brombeere in meinen Mund. Sie schmeckt nach Sonne und Erde und würziger Frucht. Sie erinnert mich an Felder und Wälder, den Bauernhof, die Welpen, an Mum, wenn sie Apfel- und Brombeerkuchen backt, an den Herbst, den Geruch brennenden Holzes und das Mittsommerfeuer. Es erinnert mich
daran, wie Conor und ich mit den Füßen das gefallene Laub aufwirbelten, als wir noch klein waren …
    »Dieses Jahr wird es viele Beeren geben«, sagt Granny Carne, »nach all der Sonne, die wir gehabt haben. Erzähl mir, wo du heute schwimmen willst, Conor. Etwa unten in der Bucht?«
    »Kann schon sein«, antwortet Conor, aber es hört sich nicht unhöflich an. Er lächelt sie an, und ich finde, dass sich die beiden irgendwie ähnlich sehen. Beide haben sonnengebräunte Haut und leuchtende dunkle Augen.
    »Ich würde heute nicht dorthin gehen«, sagt sie. »Die Strömung ist im Moment sehr stark. Du kommst vielleicht dagegen an, Conor, doch Sapphire nicht. Sie würde hinausgetragen werden. Ihr solltet euch heute an Land halten.«
    »Aber ich will so gern dorthin«, sage ich.
    »Das weiß ich, Sapphire. Glaub mir, ich weiß genau, wie sehr du dorthin willst. Ich spüre es.« Sie macht einen Schritt nach vorne und greift um mein Handgelenk. Ihre Hand ist stark und warm. »Ich spüre, wie es durch dich hindurchgeht. Doch wir haben schon den ersten Mathew verloren, dann deinen Vater, und wer weiß, was als Nächstes passiert. Die Geschichte ist noch nicht zu Ende, sie folgt ihrem eigenen Muster. Indigo wird immer stärker. Es gibt Fische, die in dem kleinen Fluss bis hinauf zu meiner Hütte schwimmen. Aber das sollten sie nicht tun. Wenn Indigo seine Grenzen sprengt, dann wird auch die Erde ihre Grenzen sprengen. Solange Indigo an seinem Platz bleibt, werde ich dasselbe tun.«
    Granny Carne hat sich zu ihrer vollen Größe aufgerichtet und spricht mit einer Stimme, die ich nie zuvor gehört habe. Sie ist tief und gebieterisch und scheint keinen Widerspruch zu dulden.

    Wenn Indigo seine Grenzen sprengt. Ich verstehe nicht, was sie meint. Die Flut steigt bis zu ihrem höchsten Punkt, aber nicht weiter. Die Bucht füllt sich mit Wasser, bis dieses sich wieder zurückzieht. So ist es immer gewesen – was sollte sich da verändern?
    Granny Carne steht zwischen mir und dem Meer. Sie hält mich davon ab, es zu erreichen. Wie ein Baum oder ein Fels türmt sie sich vor mir auf. Und plötzlich weiß ich genau, dass ich wieder den Gesang des Meeres hören würde, wenn ich nur auf die andere Seite von Granny Carne gelangen könnte. Ihr Körper fängt die Musik ab. Ich weiß es und sie weiß es auch. Sie hat sich mit Absicht dorthin gestellt.
    »Ihr habt doch von dem anderen Mathew Trewhella gehört«, fährt sie fort, »der früher einmal gelebt hat. Er war ein bemerkenswerter Mann, schön wie ein Prinz, und sang im Kirchenchor. Die Leute sagten damals, er hätte eine Stimme wie ein Engel. Ihr wisst ja, was für einen Unsinn die Leute manchmal reden. Irgendjemand sagt etwas und alle plappern es nach. Aber er hatte wirklich eine sehr schöne Stimme. Die Stimme eures Vaters ist die einzige, die ich je gekannt habe, die sich mit seiner hätte messen können.«
    Ich habe das Gefühl, als würde von ihrer Hand elektrischer Strom in mein Handgelenk fließen. Es ist dieselbe Geschichte, die Dad mir erzählte, als wir vor Jahren in der Kirche waren. Die Geschichte von der Meerfrau, der hölzernen Meerfrau, die jemand mit dem Messer aufgeschlitzt hat.
    Granny Carne lässt nicht locker. Ihre Stimme wird lauter. »Aber natürlich ist die Geschichte im Laufe der Jahre verfälscht worden«, fährt sie fort. »Das geschieht immer, wenn eine Geschichte über längere Zeit von Mund zu Mund geht.
Es war nicht nur die Meerfrau, die Mathew Trewhella bezaubert hat. Er verliebte sich in Indigo. Indigo nahm ihn gefangen. Mer … Mare … Meor … Indigo … Das war es, was ihn von seinen Freunden und seiner Familie getrennt hat. Und er kam nie wieder zurück.«
    Warum erzählt sie mir das alles? , denke ich grimmig und versuche, dem Sog ihrer Erzählung zu widerstehen. Sie versucht nur, mich von Indigo fern zu halten. Sie will mir Angst machen.
    »Sprechen Sie jetzt über den Mathew Trewhella aus der Geschichte?«, fragt Conor mit skeptischer Stimme.
    »Ja, ich rede über den ersten Mathew Trewhella. Ich spreche von der Vergangenheit.« Ihr Gesicht ist ernst, als würde ihr die

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