Nixenblut
vom nächsten Felsvorsprung des Riffs entfernt. Zwei, sieben, zehn Robben …
Von der anderen Seite Liminas kommen noch weitere Robben herbeigeschwommen. Wie schnell sie durchs Wasser gleiten. Wie stark sie sind.
»Sie müssen irgendwas gesehen haben«, murmelt Conor. Faro betrachtet sie schweigend.
»Weißt du, was da los ist, Faro?«
Er zuckt die Schultern. »Auf diese Entfernung bin ich mir nicht sicher. Es könnte alles Mögliche sein.«
Seine Stimme klingt gelassen, doch seine Miene ist angespannt.
»Du musst uns sagen, was da passiert, Faro!«
»Ich habe euch doch schon gesagt, dass die Robben Limina bewachen. Und wenn sie bedroht werden, dann setzen sie sich zur Wehr.«
»Was für eine Bedrohung?«, fragt Conor schroff. »Was können sie sehen, das wir nicht sehen?«
Ich achte nur auf die Robben. Sie tummeln sich auf engem Raum, schwimmen wieder auseinander und heben ihre Köpfe, als würden sie …
»Sie lauschen!«, sage ich. »Sie können etwas hören.« Und plötzlich weiß ich, worum es sich handelt. Sie lauschen einem Geräusch, das ich ebenfalls kenne. Einem Geräusch, das es in Indigo eigentlich nicht gibt. Dem Dröhnen eines Motors, eines Bootsmotors, weit entfernt an der Wasseroberfläche.
»Es ist Rogers Boot«, sagt Conor.
»Sind sie also doch gekommen.«
Wir starren uns an. Die Angst in Conors Gesicht spiegelt und verdoppelt die Angst, die er vermutlich in meinem Gesicht erblickt. Nur Faro scheint keine Furcht zu haben. Seine Züge sind ruhig und gespannt, wie die einer Katze, die auf der Lauer liegt.
»Das kannst du nicht zulassen, Faro!«
»Doch, das kann ich, Sapphire«, entgegnet er leise, doch mit absoluter Entschlossenheit. »Eure Taucher schrecken ja auch nicht davor zurück, das Meer zu zerstören. Verstehst du nicht, was mit Limina geschieht, wenn sie dem Wrack zu nahe kommen? Und wenn sie erst wissen, dass dort möglicherweise Gold zu holen ist … Wir sind Luft für sie. Sie nehmen uns nicht einmal zur Kenntnis. Sie zerstören unsere Welt, ohne es zu bemerken. Warum sollte ich ihnen helfen? Ich bin ein Mer, Sapphire. Ich gehöre zu Indigo, nicht zu den Menschen. Ich habe meine Wahl getroffen.«
Es kommt mir so vor, als habe Faro Klauen, die beide Hälften von mir auseinander reißen. Ich hätte niemals seine Worte gewählt. Ich hätte immer das Gefühl, einen Teil von mir zu betrügen. Faro weiß, wohin er gehört, doch ich weiß es nicht. Teils werde ich immer eine Fremde bleiben.
Dabei ist mir Roger nicht einmal sympathisch. Ich will, dass er aus unserem Leben verschwindet. Doch jetzt habe ich Angst, weil es tatsächlich geschehen könnte.
» Faro kann es vielleicht zulassen«, sagt Conor mit einer Entschiedenheit, die Faros in nichts nachsteht. »Aber ich kann es nicht. Ich werde die Robben aufhalten.«
»Sie werden dich umbringen, Conor!« Ihre Zähne, ihre Krallen. Nicht mal mit einer einzigen könnte man es aufnehmen und da drüben sind massenhaft Robben. Ich spüre den Geschmack der Angst in meinem Mund. Versteht Conor
denn nicht, mit wem er es zu tun hat? Diese Graurobben sind die Wächter von Limina, und sie tun alles, um dieses Gebiet zu verteidigen.
»Ich kann es nicht zulassen, Sapphire«, wiederholt Conor. »Ich kann nicht tatenlos zusehen, wie sie Roger umbringen. « Und Conor meint es ernst. Seine Stimme klingt ruhig und entschlossen.
»Leider hast du ein kleines Detail übersehen«, sagt Faro in seiner sanftesten Stimme. »Du musst dich an meinem Handgelenk festhalten. Sapphire hat nicht genug Stärke für euch beide. Und ich werde bleiben, wo ich bin.«
Zweiundzwanzigstes Kapitel
F ür einige lange Sekunden stehen sich Faro und Conor wie Feinde gegenüber.
»Ich werde bleiben, wo ich bin«, wiederholt Faro.
»Du meinst also, du hast gewonnen«, sagt Conor. Langsam, bedächtig löst er seine Hand von Faros Handgelenk. »Aber da irrst du dich«, fügt er hinzu, indem er Faro direkt in die Augen blickt. Seine Entschlossenheit ist in jedem Wort spürbar.
»Trenn dich nicht von ihm, Conor!«
»Das habe ich schon getan, Saph.«
»Tu’s nicht!«
Doch er hat sich schon abgewandt.
»Conor!« Ich hechte nach vorne, ohne noch einen Gedanken an Faro zu verschwenden. »Warte auf mich!« Da er langsam schwimmt, habe ich ihn in wenigen Sekunden eingeholt. Wir schwimmen nebeneinanderher, und als er mir einen Blick zuwirft, sehe ich, dass er bereits blasser geworden ist.
»Nimm mein Handgelenk, Conor!«
»Ich schwimme zu den Robben, Sapphire. Glaub
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