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Nixenblut

Nixenblut

Titel: Nixenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Dunmore
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noch während ich spreche, werde ich wieder ganz von der traumhaften Szenerie gefangen genommen. Meine Angst vergeht. Roger ist weit weg, in einer anderen Dimension, und dort soll er auch bleiben. Alles, was zählt, ist Indigo. Kann dies wirklich der Ort sein, an dem unsere Vorfahren starben? Eigentlich liegen sie doch auf dem Friedhof in Senara begraben. Als ich klein war, habe ich die Schrift an ihren Grabsteinen nachgezeichnet und mir vorgestellt, wie sie ausgesehen haben mögen. Was hat Faro vorhin gesagt? Glaubt ihr etwa, ich hätte euch hierher bringen können, wenn euer Blut euch nicht bereits an diesen Ort binden würde?
    Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, dass der Schleier, der den Großteil von Indigo vor mir verhüllt, sich lüftet. Hier ist eine ganze Welt, die auf mich wartet. Darauf wartet, dass ich sie verstehe, damit sie sich vollends zeigen kann.
    »Kein Mensch darf dies je zu Gesicht bekommen«, wiederhole ich laut. »Auch keine Taucher.«
    »Ich wusste, dass du es verstehst, wenn du den Ort mit eigenen Augen siehst«, sagt Faro, als hätte er meine Gedanken gelesen. Wir tauschen einvernehmliche Blicke. Wir sind auf derselben Seite.
    »Was soll das heißen?«, schaltet sich Conor ein. Er dreht sich zu uns herum und kehrt Limina den Rücken zu. Auf die Musik scheint er nicht mehr zu achten. Er sieht Faro und
mich durchdringend an. »Was wollt ihr tun, um Roger von diesem Ort fern zu halten?«
    » Wir werden gar nichts tun«, sagt Faro. Sein Blick ist auf die patrouillierenden Robben gerichtet. Graurobben sind Respekt einflößende Geschöpfe – in ihrem eigenen Element. Man sollte sich besser nicht mit ihnen anlegen. Ein Schlag ihrer Hinterflosse, ihr muskulöser Körper, ihre scharfen Zähne und Krallen …
    »Ich verstehe«, sagt Conor. Er schaut zuerst mich und dann Faro an. Sein Blick ist herausfordernd. »Ich zumindest werde etwas unternehmen«, sagt er ruhig.
    »Und was?«, fragt Faro.
    »Ich werde nicht tatenlos zusehen, wie Roger Schaden zugefügt wird. Du störst dich nicht daran, wenn Roger einen kleinen Unfall hat, oder? Und das nur, weil er irrtümlich in eure Welt eingedrungen ist. Aber das ist nicht seine Schuld. Er weiß nichts von diesem Ort, von diesem Limina . Wie sollte er auch? Wenn er davon wüsste, dann würde er hier nicht tauchen.«
    »Ach, wirklich nicht?«, fragt Faro. »Schau mal da rüber. Nein, dort. Dieses Gebilde im Sand?«
    »Ich kann nichts …«
    »Doch, du kannst. Da vorne.«
    Alles, was ich sehe, ist ein dunkler, mit Tang bewachsener Hügel.
    »Teil eines Schiffsrumpfs«, sagt Faro. »Auf so was hat es dein Taucher doch abgesehen.«
    »Wow«, entgegnet Conor, der jetzt die Form erkennt. »Vielleicht hatten sie einen Schatz an Bord.«
    »Ja, vielleicht«, stimmt Faro zu.
    »Habt ihr das denn nie untersucht?«

    Faro zuckt die Schultern. »Wozu sollte das gut sein?«
    »Vielleicht hatten sie Gold oder Juwelen dabei?«
    Faro schüttelt den Kopf. »Um so etwas kümmern wir uns nicht.«
    »Aber ich dachte … auf alten Bildern … da haben die Meerkönige doch immer Kronen und Juwelen.«
    »Ja, weil Menschen diese Bilder zeichnen. Sie zeichnen eben alles, was sie selbst gern hätten, wenn sie Könige wären. Aber weißt du eigentlich, wie schwer Gold ist? Wie willst du zum Beispiel mit einer Welle surfen, wenn du einen Goldklumpen mit dir herumträgst, der dich nach unten zieht?«
    »Ach, Faro, ein Goldklumpen wäre doch viel zu teuer. Die Leute tragen allenfalls Goldketten.«
    »Ketten! Wirklich? Luftwesen sind schon eigenartig. Warum legen sie sich selbst Ketten an?«
    »So hab ich das doch nicht gemeint …«
    »Luftwesen scheinen wirklich verrückt nach Metall zu sein. Sie tun alles, um es auszugraben. Manchmal hören wir, wie sie Tunnel unter Indigo graben, um an das Zinn heranzukommen. «
    »Das kann nicht sein«, entgegnet Conor. »Alle Zinnminen in dieser Gegend sind schon seit Jahren stillgelegt.«
    Faro zuckt die Schultern. »Sie haben hier seit ewigen Zeiten Zinn abgebaut und sie werden wiederkommen. Für Metall tun die Luftwesen alles.«
    Er lässt seinen Blick über die stille Ebene schweifen, wo die silbrigen Gestalten im geisterhaften Licht vor sich hin treiben. Der kleinste Wasserwirbel würde ausreichen, um sie davonzutragen.
    »Schau, da drüben!«, ruft Conor und packt meine Schulter. »Was ist mit den Robben los?«

    Er hat Recht. Die Robben haben aufgehört zu patrouillieren. Sie versammeln sich an der unsichtbaren Grenze, zirka fünfzig Meter

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