Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nixenfluch

Nixenfluch

Titel: Nixenfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Dunmore
Vom Netzwerk:
Ich helfe ihr mit den Bettbezügen. Eine Amsel singt in der Eberesche. Auch Mum singt, durch die Wäscheklammern hindurch, die in ihrem Mund stecken. Sie klingt mehr denn je wie eine summende Biene. Die Wäsche flattert, als Mum die Leinen des Wäscheständers spannt.
    »So, fertig«, sagt sie, indem sie die übrig gebliebenen Wäscheklammern in den Korb fallen lässt. »Was für ein herrlicher Tag. Man sollte nicht glauben, dass es Leute gibt, die so einen Tag in einem alten, dunklen Pub verbringen, nicht wahr? Aber Glück für mich, sonst hätte ich keinen Job. Ich bin cirka um sechs wieder da, Sapphy.«
    Mum arbeitet so hart. Roger sagt, dass sie das nicht braucht. Er verdient gutes Geld und hätte es lieber, wenn sie es sich bequem machen würde. Doch Mum ist da anderer Meinung. Eines Abends hat sie mir Folgendes anvertraut: »Roger ist sehr großzügig, Sapphy, aber er ist nicht verantwortlich für dich und Conor. Ich will nicht, dass er denkt, er müsse auch für euch aufkommen. Außerdem ist es mir sowieso lieber, wenn ich mein eigenes Geld verdiene. Es ist immer gut, auf eigenen Füßen zu stehen, Sapphy. Ich hoffe, dass auch du das später tun wirst. Mädchen können doch heute werden, was sie wollen. Lass dich von niemand daran hindern, das zu tun, was du tun willst.«
    Mums Augen leuchteten vor Eifer. Wahrscheinlich würde sie mir jeden Moment erzählen, dass die Schule für mich ein Kinderspiel sei, wenn ich nur richtig wolle, und dass ich nachher zur Uni gehen könne. Dann stünden mir alle Wege offen. Manchmal ist Mum böse auf sich, weil sie selbst nichts von alldem getan hat. Deshalb will sie um so mehr, dass ich »meine Chancen nicht wegwerfe«, wie sie sich ausdrückt.
    Doch an diesem Abend überraschte sie mich. Ich hatte erwartet, dass sie mir mit den üblichen Dingen in den Ohren liegen würde – »Mach deine Hausaufgaben, Sapphy; deine Lehrer sagen, dass du großes Potenzial hast, aber du musst es auch nutzen« –, aber das tat sie nicht. Für eine Weile sprach sie kein Wort, dann sagte sie: »Ich habe mich zu sehr auf deinen Vater verlassen, Sapphy. Damals habe ich das nicht begriffen, doch heute weiß ich es. Das war ihm gegenüber nicht fair.«
    Es ist lange her, dass ich Mum so über Dad hatte reden hören, nachdenklich statt von Trauer und Zorn geprägt. Als wäre Dad immer noch ein Teil unseres Lebens statt jemand, dem sie nicht vergeben kann, dass er uns von einem auf den anderen Tag verlassen hat. Ich wartete darauf, dass sie weitersprach, doch sie lächelte mich nur kurz an und sagte nichts mehr. Aber es tat mir gut. Es gab mir das Gefühl, dass ich wieder über Dad reden durfte.
    Mum sehnt sich danach, wieder zur Schule zu gehen. Sie ist das Gegenteil von mir: Sie würde sich am liebsten sofort in die Lehrbücher vertiefen und Prüfungen ablegen. Vielleicht kann sie ja eines Tages ihren Traum wahr machen und doch noch Krankenschwester werden. Sie hat sich ein paar Broschüren über die Ausbildung schicken lassen und einen ganzen Abend damit verbracht, sie zu lesen. Manche Abschnitte hat sie mir sogar vorgelesen und mich nach meiner Meinung gefragt. Ich könnte mir Mum als Krankenschwester gut vorstellen. Sie wäre bestimmt gut darin, und so alt ist sie ja auch noch nicht. Doch jetzt brauchen wir erst mal das Geld, das sie im Pub verdient.
    Es hat gutgetan, so mit ihr zu reden. Als sie mir einen Gutenachtkuss gab, sagte sie: »Es ist schön, so mit dir reden zu können, jetzt, wo du ein bisschen älter bist.«
    *
    »Schau mal«, sagt Mum, während sie zufrieden die im Wind flatternde Wäsche betrachtet. »Die Sachen werden bestimmt bald trocken sein.«
    In diesem Moment kommt Conor in den Garten und schlägt vor, zur Bucht hinunterzugehen. Wir machen uns ein paar Sandwichs und nehmen unsere Schwimmsachen mit. Im Februar ist das Meer am kältesten und im April noch nicht viel wärmer geworden. Mum zuliebe packen wir also Neoprenanzüge ein. (Wir werfen sie in den Schuppen, als wir uns auf den Weg machen. In Indigo braucht man keinen Neoprenanzug.)
    Mum ist zur Zeit ein wenig entspannter, was die Bucht betrifft. Seit der Flutkatastrophe in St. Pirans glaubt sie nicht mehr, dass wir in Sicherheit sind, nur weil wir uns vom Meer fernhalten. Schließlich war es in St. Pirans ja auch nicht sicherer als in der Bucht. Sie fragt uns wie immer nach den Gezeiten, und wir versichern ihr, dass wir ganz genau wissen, wann die Flut kommt. Dass wir schon lange, bevor die Gezeiten sich umkehren, auf

Weitere Kostenlose Bücher