Nixenfluch
Hunde am Strand nach Ostersonntag. Wer hat Menschen nur das Recht gegeben, so etwas festzulegen?
Es ist so warm und gemütlich bei Sadie. Ich glaube, sie wird gleich einschlafen. Ich will nur kurz meine Augen schließen. Conor und ich sind letzte Nacht erst nach eins zurückgekehrt, trotzdem war ich schon um halb sechs wieder wach …
»Sapphire?«
Ich zucke zusammen und Sadie springt bellend auf.
»Roger!«
»Tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken. Na, Sadie, wo ist das Feuer?«
Sadie liebt Roger. Vermutlich weiß sie, dass Roger es war, der Mum in der Hundefrage überredet hat. Sie weiß auch, dass sie an Roger nicht hochspringen darf, also bleibt sie ruhig stehen und zittert vor Wonne, während er sie streichelt.
»Ich hab nicht geschlafen. Ich hab mich nur …«
»Mit geschlossenen Augen ausgeruht? Ist schon okay. Ich wollte nur mal nach dem Rechten sehen, weil eure Mutter heute Nacht plötzlich Angst um euch bekommen hat. Auf einmal konnte sie nicht mehr weiterschlafen.«
»Uns geht’s gut, Roger. Ist gestern Abend bloß ein bisschen spät geworden.«
Roger sieht mich durchdringend an.
»Ja, das scheint mir auch so«, entgegnet er schließlich. »Schläft Conor noch?«
»Ja, die schlafen alle noch.«
»Tja, alle außer dir, Sapphy. Das schlechte Gewissen hält einen ja bekanntlich wach.«
Ich schaue ihn mit gespielter Unschuld an. »Wie meinst du das?«
Er kneift die Augen zusammen. »Du kannst vielleicht deiner Mutter was vormachen, aber nicht mir. Irgendwas hast du doch vor, Sapphire.«
»Ich weiß nicht, wovon du redet.« Wenn ich nichts zugebe, hat er keine Beweise, sondern ist auf Mutmaßungen angewiesen. Er kann doch unmöglich wissen, wo ich gewesen bin. Was ihn betrifft, so war ich die ganze Zeit mit Conor in St. Pirans.
»Ich bin Gloria heute Morgen begegnet«, fährt Roger fort. »Sie war auch sehr früh wach, weil ihr Bein schmerzte. Sie rechnet damit, dass sie nicht mehr lange um die Hüftoperation herumkommt, ob sie will oder nicht. Übrigens hat sie nach dir gefragt, weil sie dich gestern Abend gesehen hat, als du von der Bucht kamst. Sie hat auch nach dir gerufen, aber du hast sie anscheinend nicht gehört. Sie meinte, du hättest es sehr eilig gehabt, deshalb hat sie sich erkundigt, ob alles okay ist.«
»Hm, hat sie noch was gesagt?« Zum Beispiel etwas über klatschnasse Jeans und tropfende Haare an einem kalten Abend im April?
Roger schüttelt den Kopf, schaut mich aber immer noch prüfend an. »Nein, sonst nichts.«
Gloria hat mich also nicht verraten. Sie hat Roger nicht erzählt, dass ich so aussah, als käme ich direkt aus dem Meer.
»Das Entscheidende ist aber, junges Fräulein, dass du in diesem Moment ganz woanders hättest sein sollen. Conor hat uns nämlich erzählt, dass du die ganze Zeit hier warst. Oder hat sich Gloria alles nur eingebildet? Oder gibt es noch ein anderes Mädchen, das genauso aussieht wie du und sich beim besten Willen nicht von der Bucht fernhalten kann?«
Wenn ich doch nur wüsste, was wirklich in Rogers Kopf vorgeht.
»Irgendwas verschweigst du uns, Sapphy. Und leider bin ich auch davon überzeugt, dass Conor gelogen hat, um dich zu decken. Das hätte ich wirklich nicht von ihm erwartet.«
»Conor hat nicht gelogen, um mich zu decken!« Was der Wahrheit entspricht. Conor wollte Mum schützen, nicht mich. Würde sie von der Tiefe und dem Kraken erfahren, hätte sie keine ruhige Minute mehr. Warum sieht Roger nicht ein, dass es manchmal besser ist, nicht alles zu wissen? Keine Fragen zu stellen? Uns einfach in Ruhe zu lassen? Er kann uns sowieso nicht helfen. Er ist ein Mensch – viel zu sehr ein Mensch. Er wäre uns nur im Weg.
»Weißt du, Sapphy, ich dachte, wir beide würden Freunde werden. Ich wünschte, du könntest mir vertrauen«, sagt er. Seine Stimme klingt gepresst und enttäuscht. Er glaubt, dass Conor und ich ihn von unserem Leben ausschließen wollen. Vielleicht stimmt das sogar, aber er versteht nicht, dass wir einen guten Grund dazu haben.
»Okay, ich geh dann wieder. Ich werde deiner Mutter sagen, dass es euch gut geht. Vielleicht kann sie dann ja noch ein bisschen schlafen.«
Seine Worte machen mich traurig und zornig zugleich. Außerdem fühle ich mich schuldig. Warum sagt er so etwas? Ich will mir nicht vorstellen, wie Mum schlaflos im Bett liegt, weil sie sich solche Sorgen um uns macht.
»Wenn Conor aufwacht, kommen wir gleich nach Hause.«
»Das will ich auch hoffen.«
Der helle Morgen trübt sich
Weitere Kostenlose Bücher