Nixenfluch
das Wort meinen Mund verließ. Kein geheimes Geschenk . Aber dann muss ich an die Vogelbeeren in meiner Jeanstasche denken. Nicht mal Conor weiß davon. Talisman wäre wahrscheinlich die falsche Bezeichnung. Es sind doch nur … nur ein paar Vogelbeeren.
Ich spüre, wie mir die Röte ins Gesicht schießt, als Saldowr mich weiterhin prüfend ansieht. »Ich verstehe«, sagt er schließlich. »In diesem Fall muss Conors Talisman euch beide beschützen. Wohin schwimmt diese Figur, Conor?«
Die winzige geschnitzte Figur scheint uns alle in ihren Bann zu ziehen. So geschmeidig ist sie, so kraftvoll und furchtlos. Immer tiefer taucht sie hinab, durch das leuchtend helle Indigo, bis das Wasser dunkel wird und der Druck des Ozeans den bleischweren Körper wie ein Blatt Papier zusammendrückt …
»In die Tiefe«, antwortet Conor.
Neuntes Kapitel
I n die Tiefe«, wiederholt Saldowr und ändert seine Lage, als habe er Schmerzen.
»Saldowr, deine Wunde … hat sie sich nicht geschlossen?«
»Nein, mein Kind. Noch nicht.«
»Aber sie wird sich schließen«, sage ich. »Sie muss. Vielleicht könnte dir ein anderer Heiler helfen.«
Conor stupst mich in die Seite, aber ich lasse mich nicht aufhalten. »Du wirst doch nicht …«
»Du meinst, ob es für mich an der Zeit ist, nach Limina zu reisen? Nein, ich glaube nicht. Vorher muss ich noch einige Dinge erledigen.«
Er spricht so entspannt darüber. Doch Limina bedeutet Tod. Wie kann Saldowr auch nur mit dem Gedanken daran spielen?
»Du darfst nicht sterben!«, sagt Faro grimmig. Er kniet nieder und nimmt Saldowrs linke Hand in seine Hände. »Du bist unser Gedächtnis. Unser Wächter. Der Beschützer von Indigo. Du darfst uns nicht verlassen.«
»Das liegt nicht in meiner Hand«, entgegnet Saldowr. »Doch lasst uns nicht über den Tod sprechen. Wir haben wichtige Dinge zu tun. Darüber müssen wir jetzt reden.«
Seine Stimme ist kräftiger geworden. Natürlich wird er sich erholen. Ich schaue Conor fragend an und er nickt mir fast unmerklich zu. Es ist an der Zeit. Der Plan, der mir während der Versammlung zum ersten Mal durch den Kopf ging, hat eine konkrete Gestalt angenommen. Conor und ich haben vergangene Nacht stundenlang darüber geredet. Er sagte, ich müsse ihn Saldowr beibringen.
»Ich kann dir die Sache nicht abnehmen, Saph. Du bist schließlich diejenige, die schon mal in der Tiefe war.«
»Aber du bist viel besser im Reden als ich, Conor. Dir hören die Leute eher zu.«
»Nein, Saph. Du warst es doch auch, die uns beide immer tiefer nach Indigo hineingezogen hat. Jetzt kannst du dich nicht hinter mir verstecken. Die Mer wollen was von dir , also hast du auch die bessere Verhandlungsposition.«
Wahrscheinlich fällt es Conor nicht leicht, so etwas auszusprechen, weil er normalerweise der Anführer ist. Ich finde es zwar nicht ganz fair zu behaupten, ich wolle mich hinter ihm verstecken, aber es stimmt schon, dass ich oft abwarte, was Conor tut, und meistens ist er es auch, der für uns beide spricht. Nach Indigo hineingezogen … Was ist mit Elvira und ihrem Talisman? Hm, vielleicht sollte ich das jetzt lieber nicht erwähnen.
»Stell dir einfach vor, Saldowr ist Roger«, schlug Conor vor. »Normalerweise hast du doch auch kein Problem damit, dem armen alten Roger die Meinung zu sagen.«
Dem armen alten Roger? Der hat doch genau das bekommen, was er wollte: Mum. Jedenfalls sehe ich überhaupt nicht ein, warum wir mit ihm Mitleid haben sollten. Doch ich verkneife mir einen Kommentar.
Pläne auf Conors Dachboden zu schmieden war sehr viel einfacher, als sie hier zur Sprache zu bringen. Schließlich will ich mir keinesfalls Saldowrs Zorn zuziehen – ebenso wenig wie ich mir Granny Carnes Zorn zuziehen will. Ich habe auf der Versammlung meine Stimme erhoben. Ich habe Ervys die Stirn geboten. Doch jetzt, Auge in Auge mit Saldowr, fällt es mir schwer, den Deal anzusprechen, den ich den Mer anbieten will. Saldowr ist so rein und klar wie ein Gebirgsbach, neben dem jedes andere Gewässer schmutzig aussieht. In seinen Augen ist mein Plan vielleicht nichts anderes als blanke Erpressung. Aber das ist er nicht, ich weiß es genau. Wenn wir Dad retten wollen, ist das vielleicht unsere einzige Chance, also dürfen wir sie nicht vermasseln.
Ich höre aufmerksam zu, während Faro seinem Lehrer von der Versammlung berichtet. Saldowrs Gesicht verrät nicht, was er denkt. Obwohl Faro nicht erwähnt, wie respektlos sich Ervys verhalten hat, habe ich das Gefühl,
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