Nixenfluch
sei er gerade aus einem wunderschönen Traum erwacht. »Oh, Sapphy. Saldowr hat gesagt, dass ein Wal dich sehen wollte – derselbe Wal, der dich damals aus der Tiefe mitgenommen hat.«
Trotzdem hast du mich keines Blickes gewürdigt, als ich zurückgekehrt bin , denke ich. Du hast bloß weiter Elvira angegafft.
»Ja.«
Conor wartet darauf, dass ich fortfahre. Faro verfolgt die kleine Szene mit herausforderndem Lächeln. Seiner schnellen Auffassungsgabe entgeht einfach nichts.
»Was wollte der Wal von dir?«, fragt Conor schließlich, weil ich nicht weiterspreche.
»Sapphire wiedersehen natürlich. Das ist doch ganz normal«, antwortet Faro verschmitzt.
»Wale schwimmen doch nicht Hunderte von Kilometern, nur um jemand zu besuchen, Faro«, entgegne ich gereizt. »Es ist ein Walweibchen, und sie weiß über den Kraken Bescheid. Sie will mich mit in die Tiefe nehmen.«
Conor spürt meine Gereiztheit, scheint aber nicht zu verstehen, woher sie kommt, und sagt mit besänftigender Stimme: »Ausgezeichnet, das ist doch genau das, was wir wollen.«
»Es ist vielleicht das, was du willst, Conor. Aber du musst ja auch nicht in die Tiefe.«
»Ich hab doch gesagt, dass ich dich begleite.« Auch seine Stimme ist schärfer geworden. »Tu doch nicht so, als müsstest du alleine gehen.«
»Absolut richtig«, sagt Faro, dessen spöttischer Unterton verschwunden ist. »Ich werde auch mitkommen, kleine Schwester.«
Manche versprechen dir das Blaue vom Himmel herunter , denke ich. Wartet nur ab, bis ihr wisst, was uns erwartet.
»Sie wartet draußen auf mich«, sage ich. »Sie will, dass wir uns jetzt gleich auf den Weg machen. Jetzt oder nie, hat sie gesagt.«
Elvira erstarrt, als sie gerade Saldowrs Umhang wieder über seine Schulter ziehen will. »Jetzt gleich?«, wiederholt sie. »Aber Conor …«
»Der kommt schon zurecht. Er hat ja deinen Talisman«, entgegne ich schroff und sehe, wie Conor unwillkürlich eine Hand um den Talisman schließt.
»Du weißt, wie gern ich mit dir kommen möchte, Conor, aber es geht einfach nicht«, sagt Elvira, die sich ausschließlich an ihn gewandt an. »Ich würde euch nur eine Last sein. Deshalb habe ich auch den Talisman für dich gemacht. Ich kann nicht einmal so tief tauchen wie Faro. Dann schießt mir das Blut in den Kopf, und vor meine Augen schiebt sich ein schwarzer Vorhang«, fügt sie poetisch hinzu, was meine Gereiztheit noch verstärkt.
»Bestimmt eine Mer-Sache«, sage ich und werfe Faro einen vielsagenden Blick zu. Aber er tut so, als wisse er nicht, worauf ich anspiele.
»Ich verstehe das absolut, Elvira«, sagt Conor so sanft und warmherzig, dass ich einen Stich im Herzen spüre, als sei es von dem Splitter durchbohrt worden, der einst Saldowr verletzte. Warum darf Elvira schwach sein, und alle sind voller Verständnis und Mitgefühl, während sie es gleichzeitig völlig normal finden, dass ich mein Leben riskieren werde?
Was ist nur los mit mir? Egal was es ist, ich muss damit aufhören. Ich war noch nie eifersüchtig auf Conor, und ich hasse Selbstmitleid. Ich will stark sein – warum soll ich mich also darüber aufregen, dass andere mich so sehen?
Weil du Angst hast. Natürlich, das ist es. Mein Magen krampft sich vor Angst zusammen. Meine Gedanken springen panisch hin und her, auf der Suche nach einem Ausweg. Einer Entschuldigung. Aber der Wal wartet auf mich. Wir müssen uns beeilen …
»Wir dürfen den Wal nicht warten lassen, Conor.«
»Wale sind Warten gewohnt«, sagt Saldowr. »Aber du hast trotzdem recht: Wir sollten so höflich sein, ihr eine Nachricht zukommen zu lassen.«
Er klatscht sanft in die Hände. Im nächsten Augenblick flitzt ein Makrelenschwarm durch die Öffnung. Mit ihren grünen, blauen und silbernen Streifen sind sie so schön wie Juwelen. Sie schwimmen zu Saldowr und schlängeln sich bunt schillernd um seinen Kopf, während er leise murmelnd zu ihnen spricht – zu leise, als dass wir etwas verstehen könnten. Der Makrelenschwarm ändert seine Formation, wie bei einem Tanz, dessen Musik sich verändert. Faro flüstert mir zu: »Sie prägen sich Saldowrs Botschaft ein. Sie speichern die Erinnerung in ihren Körpern und dann im gesamten Schwarm, nicht in ihren Köpfen.«
Der Tanz der Makrelen geht noch ein paar Sekunden weiter, dann strömen sie aus der Höhle hinaus.
»Sie wird warten«, sagt Saldowr, »dennoch müssen wir uns beeilen. Wir haben eine große Aufgabe vor uns und nicht viel Zeit.« Er macht eine Pause, muss sich
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