Nixenfluch
ein wenig ausruhen. Seine Hände ballen sich vor Schmerz. Elvira will zu ihm eilen, doch er macht eine abwehrende Handbewegung. »Faro, gib mir noch mal den Becher.«
Faro hält den Becher an Saldowrs Lippen. Ich erhasche einen Blick auf seinen Inhalt. Es ist eine dunkle Flüssigkeit, die so schwer wie Quecksilber aussieht, als sie zum Rand des Bechers fließt. Saldowr schluckt, seufzt erleichtert und lehnt sich zurück. Das Getränk muss eine Art Droge sein. Vielleicht betäubt es die Schmerzen. Saldowr sollte sich ausruhen, sonst wird er nie gesund werden.
»Hol meinen Spiegel, Faro.«
Saldowr gibt Faro Anweisungen, als wäre er sein Diener. Doch Faro stört das nicht. Er scheint sogar stolz darauf zu sein, wie schnell er Saldowrs Wünsche erfüllen kann. Mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung schwimmt er auf die andere Seite der Höhle und gleitet an der polierten Granitwand entlang. Da er mir den Rücken zukehrt, sehe ich nicht genau, was er macht. Im nächsten Moment erscheint ein Riss in der Wand, durch den ein helles Licht dringt. Es ist grünlich-blau und erfüllt mich mit Angst. Die Gezeiten! Von Saldowrs Höhle aus muss es einen weiteren Zugang zum Gezeitenknoten geben. Was tut Faro da? Weiß er denn nicht, wie gefährlich es ist, den Gezeiten auch nur ein klein wenig Bewegungsspielraum zu geben?
Ein Anflug von Panik lässt mich ausstoßen: »Aber Saldowr, die Gezeiten werden wieder ausbrechen.«
»Die Gefahr besteht nicht. Alles, was du siehst, ist der Widerschein des Gezeitenknotens, nicht die Sache selbst. Faro bedient sich aus meiner Schatzkammer der Spiegelungen. Die Dinge sind teilweise Hunderte von Jahren alt«, fügt Saldowr nicht ohne Sammlerstolz hinzu. »Ich glaube nicht, dass es eine weitere Schatzkammer gibt, die sich mit dieser vergleichen kann, weder in Indigo noch auf der Erde. Dort bewahre ich auch meinen Spiegel auf.«
Faro greift in den Spalt, zieht etwas heraus und fährt dann mit der rechten Hand über den Riss in der Wand, worauf dieser verschwindet. Er tut es mit einer Selbstverständlichkeit, als habe er große Übung darin.
Faro dreht sich um. In der Hand hält er Saldowrs Spiegel. In ihm haben wir einst das Bild von Mellina mit ihrem Mer-Baby – unserem Halbbruder – und Dad gesehen. Mit den Armen rudernd, gleite ich ein wenig zurück. Ich will nicht noch einmal in diesen Spiegel schauen. Das ist zu schmerzhaft. Auch Conor scheint auf der Hut zu sein.
»Gib ihn mir«, sagt Saldowr. Faro reicht ihm den Spiegel mit der Glasfläche nach unten. »Komm her, Sapphire. Komm her, Conor.«
Er will uns etwas zeigen, das ich nicht sehen will, genau wie letztes Mal. Doch irgendwas hält mich zurück, als würde ich von einer unsichtbaren Strömung gegen die Wand gedrückt.
»Habt keine Angst«, sagt Saldowr. »Der Spiegel kann heute nicht weit in die Zukunft sehen. Schaut.«
Er hält uns den Spiegel entgegen. Das Glas ist zu einem sternförmigen Muster zersplittert. Auch mein Schlafzimmerspiegel hat einmal so ausgesehen, nachdem Conor ihn auf den Boden geschmettert hatte, weil er glaubte, ich könnte Indigo darin sehen. Ja, es ist dasselbe sternförmige Muster. Aus irgendeinem Grund freue ich mich darüber, dass Saldowrs Spiegel seine Macht verloren hat.
»Der Gezeitenknoten ist gebrochen und mit ihm mein Spiegel«, sagt Saldowr. »Er hat viel an Wert eingebüßt und kann nicht mehr alles offenbaren, was in meiner Schatzkammer der Spiegelungen verborgen ist. Aber er kann euch immer noch euer eigenes Gesicht zeigen.«
Das kann jeder Spiegel , denke ich.
»Der Krake erträgt es nicht, sein eigenes Gesicht zu sehen«, sagt Saldowr. »Er hasst seinen Anblick.«
»Woher weißt du das?«, schaltet sich Conor ein.
Saldowr hebt seine Augenbrauen. »Vielleicht hat mir Mab Avalon das erzählt«, antwortet er spöttisch. »Der Krake ist sicher, solange er in der Tiefe bleibt, denn in der Tiefe gibt es keine Spiegelungen. Doch Indigo ist voll davon. Dieser Spiegel könnte also auch eine Waffe für euch sein.«
Langsam, widerstrebend, schwimme ich an Saldowrs Seite. Jetzt, da ich ihm im grünen und silbrigen Wasser so nahe bin, sehe ich, wie geschwächt er aussieht. Er hebt die Hand, die nicht den Spiegel hält, woraufhin ihm Faro sofort einen weiteren Schluck zu trinken gibt. Das scheint ihn zu beleben.
»Schwimm zurück«, sagt er zu Faro und winkt mich näher heran. »Jetzt sieh in den Spiegel.«
Es ist ein ganz normaler Spiegel. Er zeigt mir mein eigenes Gesicht. Nichts
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