Nixenfluch
verstecken und niemandem zeigen. Das ist viel zu gefährlich.
»Faro«, sage ich ruhig, um ihm mein Mitgefühl zu zeigen. Er soll wissen, dass er nicht allein ist. Doch er beachtet mich nicht. Ich strecke meine Hand aus, aber er fegt sie beiseite. Voller Trotz wirft er seinen Kopf zurück, als wäre Saldowr nicht sein bewunderter Lehrer, sondern ein Feind wie Ervys. »Ich werde in die Tiefe vordringen!«, sagt er mit erzwungener Entschlossenheit. »Was habe ich denn für eine Wahl, wenn Indigo mich um Hilfe ruft? Aber ich will den verdammten Spiegel nicht mitnehmen. Ich will ihn nie wieder anfassen.«
Saldowr bäumt sich auf seinem Lager auf, mit fließenden Haaren und loderndem Blick: »Kein Wort mehr!«, herrscht er Faro an. »Du weißt nicht, was du sagst! Du wirst meinen Spiegel noch segnen, statt ihn zu verfluchen. Du nennst dich meinen scolhyk ? Dann hör zu! Lerne! Was du jetzt weißt, lässt sich nicht mehr rückgängig machen.«
Die Worte schießen wie Kugeln aus seinem Mund. Saldowr sinkt erschöpft zurück und Faro ist sofort bei ihm, kniet sich hin und ergreift seine Hand, als wolle er ihn um Entschuldigung bitten.
Armer Faro, denke ich. Was auch immer der Spiegel ihm gezeigt haben mag – das hat er nicht verdient. Er ist so mutig, und ganz offensichtlich hat ihn der Spiegel mitten ins Herz getroffen. Faro will doch nur seinen Leuten helfen. Warum kniet er jetzt vor Saldowr? Er liebt ihn so sehr. Vielleicht zu sehr.
Saldowr legt ihm eine Hand auf die Schulter. »Erkenne dich selbst«, fährt er mit sanfterer Stimme fort. »Das ist alles, was ich von dir will.« Plötzlich hält er inne. Zieht seine Hand zurück. Aufmerksam lauschend, blickt er zum Eingang der Höhle hinüber.
»Offenbar haben wir einen weiteren Besucher«, sagt er gelassen. »Aber dieser wird nicht draußen warten. Komm herein, Ervys.«
Elftes Kapitel
D ad sagte immer, ein Schachspiel sei wie Krieg mit anderen Mitteln. Als ich fünf Jahre alt war, hat er mir beigebracht, wie die einzelnen Figuren bewegt werden dürfen. Die Könige dürfen nicht direkt nebeneinander stehen, Sapphy , sagte er zu mir, als ich versuchte, die Figuren auf dem Schachbrett irgendwie zu verschieben. Er nahm zwei Magneten aus dem Werkzeugkasten und forderte mich auf, sie aneinanderzuhalten. Es war unmöglich. Eine magische Kraft schien dafür zu sorgen, dass sie sich abstießen.
»Jeder König hat seine eigene Macht«, erklärte er mir. »Deshalb kann er nicht direkt neben einem anderen König stehen, der dieselbe Macht besitzt. So ist das auch bei diesen Magneten, Sapphy. Du kannst versuchen, sie zusammenzuführen, aber sie wollen nicht zusammen sein. Sie wollen ihr eigenes Reich, in dem sie ihre Macht entfalten können. Die Idee des Spiels besteht also darin, die Macht des Königs zu erhalten. Du musst selbst wie ein König denken, der seine Armee befehligt.«
Als ich fünf war, hat mir das nicht viel gesagt, doch heute umso mehr.
Wie ein König hält Ervys in der Höhle Einzug. Er kommt nicht wie ein Besucher. Zwei seiner Männer begleiten ihn. Sie tragen keine Waffen, verhalten sich aber wie Soldaten. Sie sind groß gewachsen und breitschultrig, haben wallendes Haar und mächtige Schwanzflossen. An ihren Oberarmen schwellen die Muskeln. Sie erinnern mich an die grauen Seelöwen, die Limina bewachen.
Ich darf ihnen meine Angst nicht zeigen. Ich werfe Conor und Faro einen verstohlenen Blick zu. Conor mustert sie mit kühlem Interesse. Faros Gesicht hat sich vor Zorn dunkel verfärbt. Ich versuche, Kontakt mit seinen Gedanken aufzunehmen, und treffe auf einen Wirbelsturm. Er kann es nicht fassen, dass sie es wagen, hier zu erscheinen. Dass sie in Saldowrs Höhle eindringen und ihn nun in all seiner Schwäche sehen. Er könnte sie umbringen, weiß jedoch, dass das unmöglich ist. Seine Wut schäumt und brodelt wie die Gezeiten, wenn sie sich umkehren. Ich gleite ein Stück zurück, um mich ihrem Einflussbereich zu entziehen.
Ich dachte, es sei das Licht des Versammlungsraums gewesen, das Ervys’ Haut die eigentümliche blaue Tönung verliehen hatte. Doch jetzt sehe ich diese Tönung auch hier, bei ihm und seinen Begleitern. Ihre Augen funkeln silbrig. Mit einem kurzen Schlag ihrer Schwanzflossen kommen sie näher. Ervys an der Spitze, seine Begleiter unmittelbar dahinter.
»Saldowr«, sagt Ervys.
»Ervys«, erwidert Saldowr. »Und seid auch ihr gegrüßt, Talek und Mortarow.«
Als Saldowr ihre Namen ausspricht, huscht ein beklommener Ausdruck
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