Nixenfluch
über ihre Gesichter. Saldowr schaut an Ervys vorbei, als wäre er gar nicht da, und wendet sich direkt an einen seiner Begleiter.
»Du weißt, Mortarow, dass dein Großvater einst den Gezeitenknoten hütete, so wie Faro dies nun tut.«
Mortarow runzelt die Stirn und wirft Ervys einen Hilfe suchenden Blick zu, aber der beachtet ihn nicht.
»Das war vor meiner Zeit«, entgegnet Mortarow. »Mein Großvater ist in Limina gestorben, als ich drei Jahre alt war.«
»Natürlich. Aber du weißt davon, und ich kann mich noch gut an deinen Großvater erinnern. In deiner Familie hat es viele zuverlässige Hüter des Gezeitenknotens gegeben. Ich habe mich stets auf die Kraft der Seelöwen verlassen. So wie schon dein Großvater und dein Urgroßvater.«
Mehr sagt er nicht. Das scheint auch nicht nötig zu sein. Mortarow murmelt etwas vor sich hin und senkt verlegen den Blick. Doch Ervys bricht die Stille: »Wir sind gekommen, um über die Gegenwart und Zukunft zu reden, statt unsere Zeit mit der Vergangenheit zu vergeuden.«
»Das glaubst du«, sagt Saldowr gleichmütig, »aber die Gegenwart kann ohne die Vergangenheit nicht existieren.«
»Ich bin nicht dein scolhyk , Saldowr!«, entgegnet Ervys. Seine Stimme ist so schneidend, dass Faro die Fäuste ballt.
Doch Saldowr bleibt gelassen und erwidert mit mildem Lächeln: »Hast du vielleicht einen Wal bemerkt, Ervys, als du in meine Höhle gekommen bist?«
Conor stößt ein halb unterdrücktes Lachen aus. Ervys blickt zornig zu uns herüber. »Das ist eine Frage für Kinder, nicht für einen Anführer der Mer«, gibt er bissig zurück.
»Einen Anführer der Mer«, wiederholt Saldowr sanft. Er richtet sich auf, bis sich seine Augen auf derselben Höhe wie Ervys’ Augen befinden. Ich vergesse, dass Saldowr verwundet und geschwächt ist, nehme nur die enorme Kraft wahr, die von ihm ausgeht. Seine Augen funkeln.
»Die Mer haben keine Anführer«, sagt er mit verhaltenem Zorn. »Denn wir haben die Gefahren kennengelernt, die damit verbunden sind. Wir wollen keine blutigen Auseinandersetzungen. Deshalb haben wir Wächter, keine Anführer.«
»Und haben die Wächter ihren Zweck erfüllt?«, fragt Ervys ruhig. Sein rechter Arm beschreibt einen weiten Bogen. »Willst du leugnen, dass Indigo verwüstet und voller Trauer ist? Willst du leugnen, dass Indigo schwach ist? Willst du leugnen, dass der Gezeitenknoten gebrochen ist und uns beinahe vernichtet hätte? Wenn wir einen Anführer gehabt hätten, Saldowr, dann wäre all das nicht passiert.«
Ervys’ Begleiter sind jetzt zu beiden Seiten neben ihm, Schulter an Schulter. Mortarow und Talek scheinen ihre Selbstsicherheit wiedergewonnen zu haben und wirken stärker denn je. Vielleicht warten noch weitere von Ervys’ Gefolgsleuten vor der Höhle.
Dann setzt sich auch Conor in Bewegung. Mit einem kräftigen Armschlag ist er bei Saldowr. Er blickt zu Ervys hinüber, als wäre er ihm ebenbürtig. Faro zögert. Er wünscht sich, er hätte als Erster daran gedacht. Doch dann besinnt er sich und platziert sich an Saldowrs anderer Seite. Sie sind ganz dicht bei ihm, so wie Ervys’ Gefolgsleute bei ihrem Anführer. Saldowr blickt von Conor zu Faro. Ein Lächeln wandert über sein Gesicht.
»Lass uns auf den Wal zurückkommen«, sagt er dann gelassen, ohne auf Ervys’ Worte einzugehen. »Sie ist geduldig, doch auch ihre Geduld hat Grenzen. Sie wartet darauf, diese Kinder mit in die Tiefe zu nehmen, Ervys. Du weißt genauso gut wie ich, dass dies unsere einzige Chance ist, ein Opfer an den Kraken zu vermeiden. Sie kennt sich aus in der Tiefe. Selbst dort, wo die Dunkelheit alles verbirgt, kann sie sich durch ihr Gehör orientieren. Kein anderes Wesen in Indigo ist wie sie in der Lage, Echos zu orten und das Dunkel zu lesen. Du wärst dort verloren, ebenso wie ich, lass uns also keine nutzlosen Diskussionen führen. Wenn sich der Krake in seinem eigenen Territorium befindet, könnte kein Anführer etwas gegen ihn ausrichten.«
Ervys und seine Begleiter weichen unmerklich zurück. Doch warten sie bestimmt nur auf den richtigen Augenblick, da bin ich ganz sicher.
»Diese Kinder …«, beginnt Ervys, während er mit der Hand verächtlich in unsere Richtung zeigt. »Wir haben viel von ihren vermeintlichen Fähigkeiten gehört, doch gibt es keinerlei Beweise dafür. Bis jetzt sind das nur leere Worte.«
»Beweise!« Erneut strahlt Saldowr eine ungeheure Kraft aus. »Wie kann es in solchen Dingen irgendeine Form des Beweises oder der
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