Nixenfluch
sofern wir das nötige Geld zusammenkratzen.
Wenn ihr wollt, könnt ihr eine australische Schule besuchen, aber eure Mum und ich fänden es auch nicht so schlimm, wenn ihr ein paar Monate versäumt. Ich könnte euch dafür Tauchunterricht geben. Wie sieht’s aus, Conor, hast du Lust dazu? Und Sapphy, du wirst die Küste dort lieben, das Hinterland und die wilden Tiere – das ist wirklich eine ganz andere Welt als hier.«
Conor und ich starren ihn schweigend an. Es ist so weit von dem entfernt, was ich erwartet habe, dass ich Mühe habe, alles zu begreifen. Australien – drei Monate – vielleicht plus ein bisschen Urlaub – Job in Bar – Neuseeland … Rogers Worte wirbeln durch meinen Kopf, ergeben aber keinen Sinn.
Mums Gesicht ist uns zugewandt, eine verzweifelte Hoffnung liegt in ihrem Blick. Sadie spürt, dass alle abgelenkt sind, schnappt sich das letzte Stück Erdbeerkuchen und schlingt es hinunter.
Auf einmal wird mir alles klar. Das Barbecue sollte eine Art Feier sein. Roger hoffte, uns damit in die richtige Stimmung zu versetzen, um diese einmalige Chance würdigen zu können.
»Wann würde das sein?«, fragt Conor schließlich.
»Im September geht’s los.«
Es folgt eine weitere lange Stille. Ich erinnere mich an die Worte des Wals. Ihre Tochter lebt auf dem Grund der Welt. Sie sagte, vielleicht könne ich sie eines Tages besuchen. Aber dazu müsste ich wahrscheinlich die große Reise in Indigo antreten, statt Tausende von Kilometern mit dem Flugzeug zu fliegen.
Ich bin noch nie geflogen. Niemand von uns ist das, nicht einmal Mum. Dafür hatten wir nie genug Geld. Ich halte mich stets mit Kommentaren zurück, wenn meine Mitschüler erzählen, dass sie nach Griechenland oder Thailand in den Urlaub fliegen. Mum hat immer davon geträumt zu reisen, genauso wie sie davon geträumt hat, noch einmal zur Schule zu gehen und einen guten Abschluss zu machen. Doch Dad wollte nie aus Cornwall heraus.
» Australien «, sagt Conor schließlich, langsam und verwundert. Es ist nur ein Wort, aber dieses Wort genügt. Nicht einmal Elvira könnte Conor zurückhalten. Er sieht verblüfft aus, doch sobald er sich an diesen Gedanken gewöhnt hat, wird er unbedingt dorthin wollen.
»Wenn der Sommer hier vorbei ist, geht’s für uns mit dem Sommer in Australien weiter«, sagt Mum. Ihre Augen leuchten. »So eine Chance haben wir alle zusammen nur ein Mal im Leben. Und die Küste ist das reinste Surferparadies.«
Schon möglich, denke ich, aber ist dort auch Indigo?
Ich habe das Gefühl, als wäre ich bereits mehrere Kilometer hoch in der Luft und befände mich im freien Fall. Von zu Hause fort . Unser Haus verlassen, in das wir gerade erst zurückgekehrt sind. Die Bucht und alles verlassen, das wir kennen. Faro verlassen …
Sadie spürt meine Anspannung und fängt an zu winseln.
»Oh, mein Gott«, sage ich langsam. »Sadie.«
Sadie kann nicht mitkommen. Es gibt sehr strenge Bestimmungen, wenn man Haustiere in ein anderes Land einführen will. Sie müsste in Quarantäne. Drei Monate oder noch länger – das kann ich ihr nicht antun. In Quarantäne mit jeder Menge anderer Hunde, die krank vor Heimweh sind. Sie würde denken, ich hätte sie im Stich gelassen. Am Anfang würde sie noch ständig nach mir Ausschau halten, um dann allmählich jede Hoffnung zu verlieren, dass ich zurückkehre …
»Für Sadie würde gut gesorgt sein«, sagt Roger rasch. »Jacks Familie würde sie gern für drei Monate bei sich aufnehmen. Sie wird dich nicht vergessen, Sapphire.«
Du hast sie schon gefragt , denke ich wütend. Du hast es schon vereinbart, ohne mir davon zu erzählen.
»Ich weiß, dass es hart für dich ist mit Sadie«, sagt Mum, »aber sie wird hier sein, wenn du zurückkommst. Hunde vergessen einen nicht so schnell.«
Bleib ganz ruhig, Sapphire. Bloß nicht explodieren. Das würde nichts bringen, im Gegenteil. Sie würden nur zornig werden und nicht mehr darauf hören, was du ihnen eigentlich sagen willst. Du musst wie Conor sein und sie dazu bringen, dich zu respektieren. Sadie ist zu wichtig, als dass ich jetzt die Kontrolle verlieren dürfte.
Sadie schmiegt sich an mich. Ich streichle sie mechanisch, während ich fieberhaft nachdenke. Mum sieht mich nervös an, wartet darauf, dass ich in die Luft gehe. Wartet darauf, dass ich ausflippe, zu schreien, vielleicht auch zu weinen anfange, dass ich einen Wirbelsturm mit Donner und Blitz entfessele. Wenn das Gewitter dann vorbei ist, hat sich die Luft
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