Nixenfluch
gereinigt. So ist das immer bei uns. Mum weiß das genau, weil sie dasselbe macht. Erst schreie ich, dann schreit sie und so weiter …
Aber das will ich jetzt nicht. Ich werde dasselbe tun, was sie getan haben: im Stillen meine Pläne machen und niemand davon erzählen, bis ich einen Entschluss gefasst habe.
»Ich bin wirklich müde«, sage ich schließlich. »Wir waren gestern zu lange im Meer. Ich glaube, ich gehe lieber ins Bett.«
»Wir können morgen weiter darüber reden«, entgegnet Mum rasch. »Mach dir keine Sorgen, Sapphy, wir werden alles gut vorbereiten.«
Ich schaue sie nicht an, tue ihr nicht den Gefallen, ihren flehenden Blick zu erwidern.
»Gute Nacht zusammen. Danke für das Barbecue, Roger, das Essen war großartig.«
Ich schaue nicht einmal Conor an, während Sadie und ich, eng aneinandergeschmiegt, ins Haus gehen.
Zweiundzwanzigstes Kapitel
I ch bin auf dem Weg zu Granny Carne. Ich habe niemand davon erzählt, nicht einmal Conor.
Eigentlich wollte ich mit ihr über Gloria und darüber reden, was in der Tiefe passiert ist. Doch jetzt ist so vieles hinzugekommen. Granny Carne wird verstehen, dass ich Sadie nicht allein lassen kann. Sadie gehört zur Erde, genau wie sie selbst.
Die Sonne ist nicht nur warm, sondern richtig heiß. Die Leute sagen, so warm sei es im April fast nie zuvor gewesen. Ich achte sorgfältig darauf, wohin wir treten, weil dies einer dieser Tage ist, an dem Kreuzottern gern ihr Winterquartier verlassen und sich in die Sonne legen. Nach dem langen Winter sind sie noch langsam und nicht so gut darin, den Leuten auszuweichen. Ich halte Sadie dicht bei mir, weil ich nicht will, dass sie Bekanntschaft mit einer Kreuzotter macht.
Plötzlich höre ich Hufgetrappel auf dem Reitweg unter mir.
»Sapphire! Sapphire!«
Ich drehe mich um. Es ist Rainbow, die eine Reitkappe über ihren blonden kurzen Haaren trägt.
»Rainbow! Was machst du denn hier?«
»Komm mal runter, Sirup schafft es nicht den Pfad hinauf.«
Sirup, was für ein lächerlicher Name für ein Pony , denke ich, während ich vorsichtig den steilen Pfad hinunterstapfe, den ich mich gerade hinaufgekämpft habe. Doch als ich näher herankomme, sehe ich, dass der Name zu ihr passt. Sie ist dunkelbraun, klein und gedrungen. Rainbows Beine wirken viel zu lang für sie.
»Ich wusste gar nicht, dass du reitest«, sage ich, während ich Sirup über die Stirn streichle. Ich knie mich hin und befreie Sadie von der Leine. »Sitz, Sadie! Setz dich da vorne hin, damit Sirup nicht erschrickt.«
»Hallo, Sadie, wie geht’s? Das Pony gehört einer Freundin, Sapphire. Ich bewege es nur ein bisschen, solange Kylie im Urlaub ist.«
»Kylie Newton?« Das passt. Kylie Newton ist in unserem Alter, aber einen Kopf kleiner als ich. Sirup dürfte genau die richtige Größe für sie haben.
»Ja, genau. Wo willst du eigentlich hin, Sapphy?«
»Ach, ich gehe nur mit Sadie spazieren.«
Rainbow lacht. »Ach, komm …«
Sie kann sich denken, wo ich hinwill. Dieser Fußweg ist deshalb so ausgetreten, weil die Leute von jeher mit ihren Problemen zu Granny Carne gegangen sind.
Sirup steht so unbeweglich da wie ein Pfahl. Ich könnte Rainbow davon erzählen. Nicht von allem natürlich, aber die Sache mit Australien würde sie bestimmt verstehen. Vielleicht hat sie ja einen Rat für mich.
Ich schaue Rainbow nicht an, während ich es ihr erzähle. Ich streichle Sirup über das Fell und nehme den beruhigenden Geruch des Pferdes in mich auf. Ich erzähle Rainbow, dass Sadie für drei Monate zu Jacks Familie gehen soll und dass Mum und Roger meinen, eine Reise nach Australien sei das größte Geschenk, das sie uns machen können, obwohl ich nicht die geringste Lust dazu habe.
Als ich fertig bin, sagt Rainbow für eine Weile kein Wort. Sirup verscheucht ein paar Fliegen. Sadie scheint zu dösen. Ich fühle mich leicht und leer, als wäre nichts mehr von Bedeutung. Als könnte ich sowieso nichts daran ändern. Ich werde Sadie verlieren und auf die andere Seite der Erde reisen. Es kommt mir wie das Leben einer anderen Person vor, nicht wie mein eigenes.
»Du könntest doch hierbleiben«, sagt Rainbow schließlich. »Sie fliegen nach Australien und du bleibst hier.«
»Ganz allein in unserem Haus? Das geht nicht. Das würde Mum niemals erlauben.«
»Nein, vielleicht nicht in eurem Haus. Das wäre wohl ein bisschen zu viel verlangt von dir, wenn du dich um alles allein kümmern müsstest. Und nachts wäre es ziemlich einsam, selbst mit
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