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Nixenjagd

Nixenjagd

Titel: Nixenjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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sechs Monaten ist er gestorben. Was ich von Ihnen gerne wissen möchte: Glauben Sie, dass ein solches Erlebnis einen jungen Menschen derart verändern kann, dass er danach seine Freundinnen umbringt?« Dr. Jacobi schüttelte den Kopf. »Liebe Frau Gerres, was ist denn das für eine Frage? Sie erwarten da doch hoffentlich keine verbindliche Stellungnahme von mir. Was soll ich dazu sagen, ohne dass ich den jungen Mann kenne, oder die näheren Umstände.« Petra nickte resigniert. »Das dachte ich mir beinahe. Aber wäre so etwas unter bestimmten Voraussetzungen überhaupt denkbar? Theoretisch«, fügte sie kleinlaut hinzu. »Theorie?«, feixte der Psychiater. »Theorien können Sie haben. Selbstverständlich bleiben solche Erlebnisse nicht ohne Wirkung. Unser Gehirn ist zeitlebens plastisch wie eine Wachstafel. In der Kindheit und Jugend ist es besonders formbar. Nicht umsonst spricht man von ›Ein-drücken‹. Es sind Erfahrungen und Erlebnisse sowie unsere emotionalen und körperlichen Reaktionen darauf, die uns prägen. Das gilt übrigens auch für unseren Medienkonsum. Insbesondere für gewalttätige Computerspiele, die manche für so harmlos halten. Aber dies nur nebenbei bemerkt. Zurück zu Ihrem Fall: So ein sequenzielles, also ein andauerndes Trauma, welches das monatelange Sterben eines nahen Angehörigen ganz klar darstellt, bleibt ganz gewiss nicht ohne Folgen. Und wenn ein Trauma nicht verarbeitet wird, dann führt es ein Eigenleben.« »Was heißt das?«, fragte Petra. »Nun, die Symptome eines lang anhaltenden Traumas reichen von Kontaktschwierigkeiten, Beziehungsstörungen, Bindungsunfähigkeit und Albträumen bis hin zu Angststörungen, Süchten aller Art, sexuellen Dysfunktionen, Depressionen, Suiziden oder selbstverletzendem Verhalten.« »Ich verstehe.« »War der Junge in therapeutischer Behandlung?« »Das weiß ich nicht«, gestand Petra und notierte sich im Geist, das baldmöglichst zu prüfen. »Wollten sich diese Mädchen denn von ihm trennen?« »Nein, soweit man weiß, nicht. Die Erste soll er wohl sehr gemocht haben, mit der Zweiten hatte er gar keine feste Beziehung.« »Hm«, machte der Psychiater. »Das ist seltsam. Infrage käme allerhöchstens eine extreme Form des selbstverletzenden Verhaltens. Er hat erlebt, wie ein Mensch, den er sehr liebte, langsam und für alle Beteiligten qualvoll dahinstarb. Um so etwas nicht noch einmal erleben zu müssen, könnte er auf den Gedanken kommen, Mädchen, in die er sich verliebt, lieber sofort umzubringen. Kurz und schmerzlos, wie der Volksmund sagt. Aber das ist, ich muss es zugeben, etwas weit hergeholt. Dagegen spricht auch die planvolle und hinterhältige Form des Tötens, besonders im ersten Fall, der Sache mit dem Draht. Und man muss sich fragen: Warum sollte der Junge seine traumatische Verlusterfahrung wiederholen, indem er erneut einen Menschen umbringt, der ihm nahesteht? Nach meinem Dafürhalten wäre die wahrscheinlichste Reaktion auf so ein Trauma die, dass der Junge entweder keine Beziehungen mehr eingeht oder in einer neuen Beziehung stark klammert.« Petra nickte. Die Erklärungen des Psychiaters erschienen ihr nachvollziehbar. »Ich befürchte, liebe Frau Gerres, ich kann Ihnen bei Ihren Mordfällen nicht weiterhelfen. Die menschliche Psyche is t kompliziert, und ohne den Jungen zu kennen, möchte ich keinerlei Hypothese abgeben. Sonst wäre ich ja ein Scharlatan. « »Trotzdem danke ich Ihnen.« Petra leerte ihr Glas und war i m Begriff aufzustehen, als Dr. Jacobi sagte: »Sie sagten eingangs , der Junge hätte Geschwister? « »Ja. Eine Schwester. « »Ist sie jünger als Paul? « »Ja, knapp zwei Jahre. « »Demnach war sie zwölf oder dreizehn, als der Vater starb , nicht wahr? « »Ja. « »Mädchen hängen in diesem Alter sehr an ihren Vätern. Für si e war es sicher eine Katastrophe, den Vater auf diese Weise z u verlieren. Mehr noch als für Paul. Und nun dürfen Sie raten : Wer war wohl nach dem Tod des Vaters ihre wichtigste Bezugsperson?« Es war eine rhetorische Frage, Petra kam gar nicht ers t zu Wort, denn schon fuhr Dr. Jacobi fort: »Nein, nicht etwa di e Mutter. Mädchen dieses Alters haben häufig ein problematisches Verhältnis zur Mutter. Ihre neue Bezugsperson wird de r noch verbliebene Mann im Haus, die kleinere Ausgabe des Vaters: der Bruder. « »Verdammt, Sie haben recht. « »Natürlich«, sagte Dr. Jacobi voller Überzeugung und fuhr sic h durch seine Mähne . Petra berichtete von der Sache mit dem

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