Nixenjagd
Herbsttag, registrierte Franziska, als sie am Morgen aus der Haustür trat. Die Welt wirkte wie frisch gewaschen. Auch sie selbst fühlte sich frisch und bereit, die anstehenden Probleme in Angriff zu nehmen. Entschlossen ging sie in der Pause auf Paul zu und sagte: »Paul, ich denke, wir sollten miteinander reden.« »Ja«, sagte er und wirkte erleichtert. »Aber nicht hier und jetzt.« »Nein. Heute Nachmittag«, sagte Franziska bestimmt. »Wollen wir uns am Hochsitz treffen?« Franziska erinnerte sich an die Warnungen ihrer Eltern und Olivers. Aber das war natürlich Unsinn. Oder doch nicht? »Wie wär’s im Eiscafé?«, fragte Franziska. »Hm. Meinetwegen«, sagte Paul nach kurzem Zögern. »Vier Uhr?« »Einverstanden.« Na also. Den Rest des Vormittages fühlte sich Franziska so gut wie lange nicht. Auf dem Heimweg summte sie leise vor sich hin. Die Luft war klar, der Himmel tiefblau und es wehte ein frischer Wind von Norden. Sosehr sie den Sommer mochte, jetzt freute sie sich auf Spaziergänge mit Bruno durch buntes Herbstlaub, auf dicke Pullover und den ersten Schnee. Vielleicht könnte sie mit Paul mal rodeln gehen? In derlei Träumereien vertieft, ließ Franziska das Rad den Berg hinunterlaufen, den sie jeden Morgen ächzend hinauffuhr. Sie genoss die Kühle im Gesicht, der Fahrtwind trieb ihr Tränen in die Augenwinkel. Schade, da unten war schon die Hauptstraße, sie musste bremsen. Sie zog die Bremse für das hintere Rad, doch es tat sich nichts. Sie zog fester. Nichts. Nur noch wenige Meter bis zur Straße, auf der Auto an Auto fuhr. Erschrocken betätigte Franziska beide Bremshebel. Das Rad sauste mit unverminderter Geschwindigkeit weiter den Berg hinunter. Kurz vor der Straße steuerte sie gegen den Randstein, spürte augenblicklich, wie es sie aus dem Sattel hob, sie streckte die Hände ins Nichts und hörte eine grelle Autohupe. Dann gab es einen Schlag und es wurde Nacht.
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»Volker Baumann hier. Ich habe Neuigkeiten.« »Einen Moment«, sagte Petra. Sie hatte den Anruf auf ihrem privaten Handy entgegengenommen, was den Vorteil hatte, dass sie nun auf den Flur hinausgehen konnte. Nicht, dass sie Daniel Rosenkranz Ermittlungsergebnisse vorenthalten wollte – aber vielleicht würde das Gespräch ja noch eine Wendung nehmen, die ihn einen Feuchten anging. »Ich höre«, sagte sie, während sie sich vor dem Aufzug zwischen den Hydrokulturen herumdrückte. »Ich bin deiner Bitte nachgekommen, mal dezent Paul Römers Krankengeschichte zu überprüfen.« Eigentlich war es die Bitte von Staatsanwältin Winterkorn gewesen, die Petra gleichzeitig um Diskretion in der Sache gebeten hatte. Aber Oberkommissarin Petra Gerres war schließlich nicht auf den Kopf gefallen: Längst wusste sie um Staatsanwältin Lydia Winterkorns Familienverhältnisse und sie erinnerte sich, wie verlegen Franziska Saalberg bei der Befragung geworden war, als der Name Paul Römer fiel. Also tat sie der besorgten Tante den Gefallen – zumal das Anliegen der Staatsanwältin auch das ihre war. Der Einfachheit halber hatte sie den Braunschweiger Kollegen um seine Hilfe gebeten. »Ja?« »Paul Römer war tatsächlich vor zwei Jahren, nach dem Tod seines Vaters, in den Städtischen Kliniken Braunschweig in der Psychiatrischen Abteilung als Patient gemeldet. Das erste Mal für zwei Wochen, danach erfolgte eine ambulante Behandlung über circa ein halbes Jahr.« »Und weswegen?«, fragte Petra, und machte sich schon mal darauf gefasst, dass die Wissbegierde des Braunschweiger Hauptkommissars an der Klippe der ärztlichen Schweigepflicht zerschellt war. Doch sie hatte ihn unterschätzt. »Wegen Depressionen und Suizidgefahr.« »Keine Schizophrenie oder so was Ähnliches?« »Nicht die Spur.« »Donnerwetter. Wie hast du das so schnell rausgekriegt?«, fragte Petra neugierig. »Alte Beziehungen«, antwortete er knapp und Petra zog es vor, in diesem trüben Sumpf nicht weiterzustochern. »Danke. Das war super.« »Keine Ursache.« »Schon was Neues aus der Taucher-Szene?«, fragte Petra. »Noch nicht. Aber wir arbeiten dran«, antwortete Volker Baumann. »Und bei dir?« Petra gab das Gespräch mit dem Psychiater Dr. Jacobi in groben Zügen wieder und schloss die Frage an: »Wo war Pauls Schwester, als Solveig Koller verunglückte? In der Akte steht nur, dass sie zu Hause war und angeblich Musik aus Pauls Zim mer gehört hat. Hat Paul was darüber gesagt? Oder die Mutter? In der Akte findet sich nichts darüber.« »Ich weiß, was in den
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