Nixenjagd
Beziehung sein ganzes Gefühlsspektrum vor den Eltern aus. Auch Katrins Devise hatte stets gelautet: »Die müssen nicht alles wissen.« Was, wenn Paul einfach nur ähnlich dachte? Wenn er jetzt anriefe... Vielleicht sollte sie offen mit ihm über alles sprechen. Vielleicht hatte er eine Ahnung, wer hinter all dem steckte. Aber Paul meldete sich nicht und Franziska wagte nicht, ihn anzurufen, aus Furcht, wieder so kühl abgewiesen zu werden. Gegen Mitternacht löschte sie das Licht. Sollte sie diese Nacht das Fenster wieder gekippt lassen? Nein, besser nicht. Man wusste nicht, wie der Eindringling hereingekommen war. Vielleicht doch durch ein Fenster. Und wenn er noch immer den Schlüssel besaß, vielleicht einen nachgemachten? Ja, sie hatte Angst. Ein Fremder war hier eingedrungen und würde es vielleicht wieder tun. Ob sie wohl jemals wieder beruhigt schlafen konnte? Sie stand auf und drehte den Schlüssel in ihrem Türschloss herum. Dann ging sie zum Fenster und machte es noch einmal weit auf. Ein angenehm kühler Wind wehte herein. Es würde ein Gewitter geben. Sie nahm ein paar tiefe Atemzüge und schaute dabei hinaus. Unter ihr lag der Garten, der um diese Zeit dunkel und geheimnisvoll wirkte. Die Steinfiguren am Teich waren böse Kobolde, der morsche Birnbaum streckte seine Äste wie flehende Arme in den bleiernen Nachthimmel. In der Ferne zuckten Blitze. Der Wind frischte auf, Blätter raschelten wie seidene Unterröcke. Dann erstarrte Franziska vor Schreck. Die Gestalt stand nah beim Zaun, zwischen dem Apfelbaum und den Hibiskussträuchern. Ein regloser Schatten vor dem schwachen Licht einer weiter entfernt stehenden Straßenlaterne. Eine schlanke, menschliche Silhouette. Nur der Kopf war unförmig wie von einer Kapuze umhüllt. Plötzlich waren Schrecken und Angst weg und sie empfand nur noch Wut. Einen rasenden Zorn. Sie würde dem ganzen verdammten Spuk ein Ende machen, und zwar jetzt, sofort. Sie wich langsam zurück und eilte geduckt zur Tür. Verdammt, sie hatte ja abgeschlossen. Hastig drehte sie den Schlüssel um, polterte die Treppen hinab und betrat das dunkle Wohnzimmer. Im Vorbeigehen griff sie nach dem Schürhaken neben dem Kamin. Sie öffnete die Terrassentür und stürmte mit erhobener Waffe durch den Garten auf die Stelle zu, an der sie die Gestalt gesehen hatte. »Wer ist da?«, rief sie mit fester Stimme. »Bleib stehen!« Da war niemand. Hatte sie sich getäuscht? Nein, sie hatte ganz bestimmt eine menschliche Gestalt da unten stehen sehen. Sie war schließlich nicht verrückt. Sie durchstreifte den Garten und brüllte dabei: »Los, zeig dich! Ich hab keine Angst vor dir, du Feigling. Raus mit dir, hier bin ich!« Dazu schwang sie den eisernen Schürhaken. Auf diese Weise umrundete sie einmal das Haus, ohne dass sich irgendwer aus der Deckung gewagt hätte. »Franziska! Was ist los? Was machst du da?« Ihr Vater stand auf der Terrasse. »Ich hatte vom Fenster aus was gesehen und gedacht, dass da einer im Garten steht«, sagte Franziska. Sie kam näher, ihr Atem ging rasch. Sie war barfuß und trug nur ein T-Shirt und eine Unterhose. »Wer sollte mitten in der Nacht in unserem Garten stehen?« »Was weiß ich? Ein Einbrecher? Ein Spanner? Aber ich muss mich wohl geirrt haben. Oder ich habe ihn vertrieben.« »Laut genug warst du ja. Wahrscheinlich ist jetzt die ganze Nachbarschaft wach. Gib das her.« Er nahm ihr den Schürhaken ab und starrte erst ihn, dann Franziska kopfschüttelnd an. »Wolltest du damit auf jemanden losgehen? Noch dazu in Unterhosen?«, fragte er ungläubig. »Sollte ich mich erst schick machen?«, entgegnete Franziska. »Warum hast du uns nicht geweckt? Stell dir vor, wenn da wirklich einer gewesen wäre? Hattest du denn gar keine Angst? Du bist schließlich nicht Rambo. Für so was gibt es die Polizei!«, regte sich ihr Vater auf, aber Franziska bemerkte, wie er sich trotz allem ein Grinsen verkniff. Der Wind wurde böig. Wieder zuckte ein Blitz durch die Nacht, aber dieses Mal schon viel näher. »Geh rein. Ich schau mich vorsichtshalber noch mal um«, sagte er. »Ganovenjagd ist nichts für kleine Mädchen.« Wieder in ihrem Zimmer, machte Franziska das Fenster zu und schloss erneut die Tür ab. Es würde eine weitere schlaflose Nacht voller Angst werden, dachte sie. Aber ihre Erschöpfung war so groß, dass sie nahezu sofort einschlief und nicht einmal das Gewitter hörte, das eine halbe Stunde später die Wände zittern ließ.
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Die Hitze war vorbei. Der erste
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