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Nixenmagier

Nixenmagier

Titel: Nixenmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Dunmore
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leise!« Ich lege den Zeigefinger an die Lippen, worauf Sadie mir einen verschwörerischen Blick zuwirft. Sie weiß ganz genau, dass wir etwas Verbotenes tun.
    Ich gehe wieder nach unten, lege noch ein Holzscheit
ins Feuer und räume das abgewaschene Geschirr in die Schränke. Vielleicht sollte ich jetzt auch ins Bett gehen. Es ist zwar noch früh, aber dann bin ich wenigstens mit Sadie zusammen.
    Ich bin unruhig. Ich hasse es, im Haus eingesperrt zu sein, wenn es draußen stürmt. In unserem alten Haus hat mir das nie etwas ausgemacht. Wir wohnten so weit oben auf den Hügeln, dass es keine Rolle spielte, wie sehr das Meer auch tobte – es hätte uns doch nie erreichen können. Unser Haus bestand aus Granit, und seine Wände waren so dick, dass kein Sturm der Welt sie jemals zum Einsturz gebracht hätte.
    Doch dieses Haus kommt mir weniger solide vor, und das Meer ist sehr nah – weniger als fünfzig Meter entfernt und fast auf derselben Höhe. Es scheint nur weiter weg zu sein, weil die Straße sich um das Haus herumwindet. Sei nicht albern, Saph. Dieses Haus steht schon seit über hundert Jahren. Sie hätten es nicht an dieser Stelle gebaut, wenn es ein Risiko gäbe.
    Ich schalte den Fernseher ein und sogleich wieder aus, weil ich auf dem Bildschirm nur Schneegestöber sehe. Der Empfang ist gestört.
    Der Läufer wird erneut durchgeschüttelt. Sturmböen lassen den Regen gegen die Fenster klatschen. Plötzlich fühle ich mich völlig allein. Das Wohnzimmer mit dem brennenden Kamin müsste mir doch sicher und gemütlich vorkommen, aber das tut es nicht. Der Rauch wird durch den Schornstein wieder nach unten gedrückt und das Feuer kämpft ums Überleben.
    Vielleicht ist Mum wirklich schwer krank. Vielleicht hätten wir den Arzt rufen sollen.

    Ich gehe die Stufen hinauf und schleiche auf Zehenspitzen in ihr Schlafzimmer, um nach ihr zu sehen. Ich kann kaum glauben, dass sie wirklich schläft, während der Wind um das Haus tobt.
    Doch sie liegt in der Mitte des breiten Betts auf dem Rücken und schläft tatsächlich. Die Nachttischlampe brennt immer noch. Mum ist blass, doch ihre Wangen sind gerötet. Sie atmet schnell, ihre Lippen sehen rissig und spröde aus. Auch Roger ist eingeschlafen, auf dem Korbstuhl. Die Hälfte der Zeitung liegt auf seinem Schoß, die andere Hälfte ist auf den Boden gerutscht. Sein Mund steht offen, was seine Attraktivität zweifellos beeinträchtigt, doch wenn Menschen schlafen, dann fühlt man sich doch immer ein wenig für sie verantwortlich … Ich schleiche zur Nachttischlampe und knipse sie aus.
    Das Klicken scheint Mum zu stören. Im Licht, das vom Flur hereindringt, sehe ich, dass ihre Augen immer noch geschlossen sind, doch wirft sie sich murmelnd hin und her. Ich bleibe wie angewurzelt stehen, um sie nicht aufzuwecken.
    »Mathew … Mathew … nein … fahr nicht raus … nicht mit der Peggy Gordon , nein, Mathew …«
    Sie scheint panische Angst zu haben. Nein, Mum, bitte nicht. Das ist doch alles längst passiert.
    Ich wünschte, ich könnte es ungeschehen machen. Ich wünschte von ganzem Herzen, wir könnten die Zeit zurückdrehen und dafür sorgen, dass Dad in jener Sommernacht nicht aus dem Haus geht. Warum hast du das getan, Dad?
    Plötzlich muss ich an das Mer-Baby denken. An seine pummeligen, kleinen Hände. Seine weichen, schwarzen Haare, die im Wasser hin und her wogten. Und an das Gesicht
seiner Mutter, als sie meinem Vater einen liebevollen Blick zuwarf.
    Mum weiß nichts von all diesen Dingen. Wieder habe ich das Gefühl, ich sei die Mutter und sie die Tochter. Ich will nicht, dass sie es jemals erfährt. Ich will nicht, dass sie jemals das Mer-Baby zu Gesicht bekommt, weil ich weiß, wie traurig sie das machen würde.
    »Nein, Mathew … nein … nein«, murmelt Mum erneut. Ich wage kaum zu atmen. Bitte, Mum, schlaf wieder fest ein.
    Schließlich beruhigt sie sich, wirft ihren Kopf nicht mehr hin und her, sondern lässt ihn auf das Kissen sinken. Ganz langsam schleiche ich mich auf den Flur und schließe so leise die Tür, dass nicht einmal das Schloss klickt. Mum wird friedlich bis morgen früh schlafen.
    Ich gehe zu meiner Tür und lausche. Kein Geräusch zu hören. Auch Sadie muss eingeschlafen sein. Doch ich will nicht hineingehen, damit sie nicht wieder zu bellen anfängt. Alle sind ruhelos heute. Alle sind so nervös, als läge etwas in der Luft.

    Conor ist immer noch nicht zurück. Ich würde gerne zum Hafen gehen und ihn suchen, aber das würde ihn nur

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