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Nixenmagier

Nixenmagier

Titel: Nixenmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Dunmore
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aber vollkommen sicher, weil sie davon ausgehen, dass sich der Sturm schon wieder beruhigen werde, so wie dies immer der Fall war. Außerdem wissen sie, dass die Flut nur bis zu einem gewissen Punkt steigt und nicht weiter.
    Saldowr will nicht, dass unsere Welt untergeht. Er will das Gleichgewicht zwischen dieser Welt und Indigo erhalten. Doch die Gezeiten haben eine ungeheure Gewalt. Voller Ehrfurcht habe ich ihr Schlängeln und das bläuliche Licht beobachtet, das die glatten Seiten des Steins, der sie barg, beleuchtete. Vielleicht können die Gezeiten nun tun und lassen, was ihnen gefällt.
    » Sapphy …«
    Jetzt ist die Stimme nur mehr ein Flüstern, sehr leise und sehr weit entfernt, doch kämpft sie darum, an mein Ohr zu
dringen. Und mit einem Mal weiß ich auch, wem die Stimme gehört. Ich antworte nicht, sondern bleibe einfach stehen. Jede Faser meines Körpers ist angespannt, darauf wartend, dass die Stimme wiederkehrt. Sie bricht ab und ist plötzlich wieder da, wie die Stimme eines Radios, dessen Sender man nicht richtig einstellen kann.
    » Myrgh … myrgh …«
    Die Stimme kämpft sich durch einen Albtraum und ruft mir so laut wie möglich eine Warnung zu, doch höre ich nur ein Flüstern. Sie gehört meinem Vater. Er versucht verzweifelt, mir etwas mitzuteilen, doch ich komme nicht nahe genug an ihn heran.
    Plötzlich weiß ich, wo er sich befindet. Er ist draußen in der Bucht, so nahe am Ufer wie nur irgend möglich, ehe ihn die Wellen packen und gegen die Felsen schleudern können. Er hat die Gesetze von Indigo gebrochen. Er hat sein Mer-Baby und seine Mer-Frau verlassen, um mich zu suchen und mir etwas mitzuteilen, das ich eigentlich nicht wissen darf. Doch ich kann ihn nicht verstehen.
    Ich schreie zurück: »Dad, Dad, wo bist du? Ich kann dich nicht hören!« Doch der Wind reißt meine Stimme entzwei.
    »Dad!«
    Ich warte darauf, dass der Lärm des Sturms noch einmal Dads Stimme hindurchlässt. Der Wind reißt meine Kapuze zurück, worauf mir die Haare ins Gesicht wehen. Da ist die Stimme wieder! Oder bilde ich mir alles nur ein? Sie ist sehr weit weg und so dünn wie ein Spinnennetz. Doch wenn sie so dünn wie ein Spinnennetz ist, dann müsste sie auch so stark sein. Die Dringlichkeit der Stimme geht mir durch Mark und Bein.
    » Sapphy …«

    Die Stimme ist real. Ich weiß es. Dad will, dass ich zu ihm komme. Ich weiß es so genau, als wären seine Worte in den Sand geschrieben. Und ich kann es schaffen. Wenn ich am Strand entlanglaufe, vorbei am Café, am Strandladen und der Rettungsstation, dann kann ich hinter der Landzunge die Felsen hinunterklettern. Mir kann nichts passieren, rede ich mir ein, wenn ich oberhalb der Gezeitenlinie bleibe. Dort fallen die Felsen steil zum Meer hin ab. Vielleicht… vielleicht könnte es Dad gelingen, so nah an sie heranzuschwimmen, dass ich ihn verstehen kann.
    Ich schiebe alle Bedenken beiseite. Und als könnte der Mond meine Gedanken lesen, bricht er in diesem Moment zwischen den Wolken hervor. Es ist hell genug, um einen Versuch zu wagen.

    Sobald ich die Landzunge erreicht habe, begebe ich mich auf alle viere, um nicht vom Sturm ins Meer geschleudert zu werden. Auf Händen und Füßen krieche ich vorwärts und halte mich an Grasbüscheln fest. Das Mondlicht ist jetzt sehr hell, doch will ich lieber keinen Blick aufs Meer werfen, um nicht wieder die sich windenden Schlangen zu sehen. Ich schaue allenfalls ein Stück nach vorne, um meinen Weg zu finden.
    Ich krabbele ein wenig abwärts, die Steine hinunter. Eine gewaltige Welle bricht sich auf der anderen Seite der Landzunge und lässt die Felsen erbeben. Unter mir höre ich einen zischenden Knall, gefolgt von einem lang gezogenen, saugenden Geräusch, als das Wasser in alle Ritzen und Spalten des Felsen hineinschießt. Ich traue mich nicht einmal mehr zu krabbeln, sondern lege mich flach auf den Bauch und schlängele mich voran, während ich jede Gelegenheit
nutze, mich irgendwo festzukrallen. Ich presse meinen Körper gegen den Untergrund, damit der Wind mich nicht wegreißt.
    Das Tosen des Meeres klingt bedrohlicher als je zuvor. Es geht nicht. Dad kann nicht nahe genug herankommen, ohne Gefahr zu laufen, gegen die Felsen geschleudert zu werden.
    Sehr vorsichtig hebe ich meinen Kopf und spähe nach rechts, wo die Felsen dem Meer Schutz geben. Das Wasser ist an dieser Stelle ein bisschen weniger aufgewühlt. Die Felsen bilden ein natürliches Bollwerk, das dem Sturm die Spitze nimmt. Wenn ich noch ein

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