Nixenmagier
Stelle, wo Conor sie in den Felsspalt gesteckt hatte, von großen Wellen überspült wurde. Ich liebe es, wenn die Brandung sich schäumend an den Felsen bricht und in weißen Bächen über die schwarzen Steine läuft, während die Luft von sprühender Gischt erfüllt ist. Es ist wunderschön anzuschauen, wenn auch gefährlich. Dad hat uns immer gesagt, dass man am Meer keinen Fehler machen darf, weil der erste auch der letzte sein kann.
Ich hoffe, dass unsere Kleider und Turnschuhe nicht weggespült werden. Sie liegen eingewickelt in einer Plastiktüte, die Conor tief zwischen die Steine gepresst hat. Mum dreht durch, wenn sie uns beiden neue Turnschuhe kaufen muss.
Wir mussten also mit nackten Füßen und nassen Klamotten nach Hause laufen. Glücklicherweise hat es in Strömen geregnet, sodass unser Aussehen nicht allzu verwunderlich war. Mum fragte sofort nach unseren Turnschuhen, und ich habe geantwortet, wir hätten sie draußen gelassen, weil sie ohnehin nass seien, was ja auch stimmte. Conor will unsere Sachen gleich morgen früh holen. Jetzt wird es schon dunkel.
Wir sind in ein seichtes Wasserbecken gefallen. Auch das entspricht der Wahrheit. Es war meine Schuld, weil ich
direkt an der Felskante stehen blieb, um den Delfinen nachzuschauen. Ich winkte ihnen hinterher, was vollkommen überflüssig war, weil sie natürlich nach vorne schauten.
Tatsächlich konnte ich es kaum ertragen, sie verschwinden zu sehen. Da stand ich also, an Land, und fühlte mich gestrandet. Der Felsen war hart und schroff, alles kam mir kalt und laut und irgendwie … zu massiv vor. Ich sah den Delfinen also nach, bis ich sie nicht mehr erkennen konnte. Und dann rutschte ich aus – ich Idiotin –, fiel rückwärts ins Wasserbecken und schnitt mich erneut. Conor sprang zu mir, weil er glaubte, ich hätte mir den Kopf gestoßen. Das Becken war ziemlich tief und mein Kopf für ein paar Sekunden unter Wasser. Doch ich war nicht mehr in Indigo. Ich schluckte versehentlich ein bisschen Salzwasser, bekam es sofort in den falschen Hals und musste husten und würgen. In diesem Moment wurde mir definitiv klar, dass ich zurück an Land war.
Indigo hatte sich zurückgezogen.
»Wo ist Sadie?«, frage ich plötzlich. Ich habe seit Stunden nicht an sie gedacht, aber kein schlechtes Gewissen wie damals, als ich sie an den Pfosten gebunden am Strand zurückließ. Zu Hause ist sie in Sicherheit und daran gewöhnt, dass wir den Großteil des Tages in der Schule verbringen. Da sie nicht weiß, dass ich in Indigo war, wird sie sich auch keine Sorgen gemacht haben.
»Roger ist mit ihr spazieren«, sagt Mum geistesabwesend, während sie meine nassen Haare mit dem Geschirrhandtuch abrubbelt. »Geh gleich unter die heiße Dusche, Sapphy! Conor, ich werf dir eine Bettdecke runter. Zieh die nassen Sachen aus und wickel dich vor dem Feuer darin ein. Du duschst nach Sapphy.«
»Danke«, sagt Conor. »Warum dürfen Mädchen eigentlich immer zuerst duschen?«
Aber das ist eine rhetorische Frage. Er kennt die Antwort: Es ist eben so.
»Warum bist du eigentlich zu Hause?«, frage ich Mum, als ich hinter ihr die Treppe hinaufgehe.
»Weil meine Erkältung schlimmer geworden ist. Ich kann schließlich nicht den Gästen andauernd auf den Teller niesen. «
Sie sieht wirklich nicht gut aus. Ich nehme ihre Hand. »Du bist ja glühend heiß! Warum legst du dich nicht ins Bett?«
»Das hat Roger mich auch gefragt. Aber ich finde einfach keine Ruhe. Ich weiß nicht, warum. Ich habe so ein komisches Gefühl …« Mum macht ein Gesicht, als würde sie über ihre eigenen Ängste lachen. »Wie dumm von mir.«
»Was für ein Gefühl?«
»Als würde bald etwas Unvorhergesehenes passieren«, sagt sie so leise, als wolle sie nicht, dass sie jemand hört.
»Aber was soll denn passieren? Meinst du etwa, hier zu Hause?«
»Ich weiß es nicht. Ich wünschte, ich könnte es näher beschreiben. Ich fühle mich einfach so unwohl in meiner Haut. Sadie hat sich auch so merkwürdig benommen. Sie hat gewinselt und ist unruhig hin und her gelaufen, bis Roger schließlich genug hatte und sie mit nach draußen nahm.«
»Vielleicht hat sie sich nur gefragt, wo ich bin.«
»Nein, das war es nicht, Sapphy. Ihre Nackenhaare haben sich gesträubt.«
»Aber Sadie hat doch so ein weiches Fell.«
»Trotzdem war es deutlich zu sehen. Ich musste daran
denken, dass Hunde auch spüren, wenn ein Erdbeben bevorsteht. «
»Ein Erdbeben ? Hier in St. Pirans gibt es doch keine Erdbeben!
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