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Nixenmagier

Nixenmagier

Titel: Nixenmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Dunmore
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verärgern. In diesem Haus will ich jedenfalls keine Minute länger bleiben. Es ist wie ein Käfig voller Traurigkeit, als hätte sich Mums Zorn auf Dad aus ihren Träumen befeit, um nun von Raum zu Raum zu flattern und alles zu berühren.
    Ich dachte, Mum hätte Dad aus ihrem Gedächtnis gestrichen. Ich dachte, sie würde nur noch an Roger denken. Doch im Schlaf redet sie mit Dad.
    Ich muss aus dem Haus, nicht weit, nur bis zum Strand
hinunter. Ich werde rechtzeitig stehen bleiben und mir die Wellen ansehen. Die Flut hat ihren höchsten Punkt noch nicht erreicht, es kann also nicht gefährlich sein.
    Mum schläft, wird also nicht davon erfahren. Selbst Roger ist eingeschlafen – und das bei einem Sturm wie diesem.

    Ich hatte recht. Die Flut hat ihren Scheitelpunkt noch nicht erreicht. Es ist immer noch ein circa zwanzig Meter breiter Streifen Sand zu sehen, der von den schwachen Lichtern der Stadt erleuchtet wird. Die Wellen schlagen krachend an den Strand. Sie scheinen sehr hoch zu sein, obwohl es schwerfällt, ihre Größe von hier aus zu beurteilen. Der Wind ist so stark, dass er den Schaum von den Wellenkämmen bläst. Die Luft ist von Gischt erfüllt, und wenn ich mir die Lippen lecke, schmecken sie nach Salz.
    Der Wind hat sich gedreht, sodass er mir nicht mehr so hart ins Gesicht schlägt. Er muss jetzt direkt von Westen auf St. Pirans zukommen. Die dröhnenden Wellen führen Sand und Steine mit sich und schleudern sie an die Küste. Nicht einmal der beste Surfer könnte auf ihnen reiten. Sie scheinen so außer Rand und Band, als wisse das Meer selbst nicht, wie ihm geschieht. Ich glaube, es regnet nicht mehr – der Mond ist nämlich zwischen den Wolken hervorgetreten, doch ist so viel Gischt in der Luft, dass ich froh bin, meine Regenjacke anzuhaben. Ich frage mich, ob Conor und die anderen das Boot in Sicherheit bringen konnten.
    Ich kann nicht nach Hause zurückgehen. Ich bin zu unruhig, meine Haut prickelt am ganzen Körper. Unsichtbare Hände scheinen mich zu schlagen, aber es ist nicht der Wind, der mir Sorgen macht. Es ist etwas anderes, das über
den Sturm hinausreicht. Das bereitet mir dieses prickelnde, verstörende Gefühl. Vielleicht ging es Mum ganz genauso, andererseits bin ich sicher, dass ich kein Fieber habe.
    Der Mond ist hervorgetreten und beleuchtet das aufgewühlte Meer. Doch für einen Moment sieht es nicht mehr wie ein Meer aus, sondern wie eine Ansammlung sich ringelnder Schlangen, die das Wasser peitschen und sich in die Luft winden.
    Indigo ist wütend.
    Wer hat das gesagt? Ich fahre herum. Ich bin mir sicher, eine Stimme gehört zu haben, doch niemand ist da. Nur die Nacht und der Sturm.
    Indigo ist wütend.
    Es muss eine Stimme in meinem Kopf sein. Vielleicht leide ich ja an Fieberfantasien.
    Indigo ist wütend.
    Beim dritten Mal wird mir bewusst, dass es gar keine Stimme ist, die ich höre. Jedenfalls keine Stimme, die von außen kommt. Es ist mein Mer-Blut, das sich zu Wort meldet.
    Manchmal weiß man mehr, als einem bewusst ist. Alle Puzzleteile befinden sich plötzlich am richtigen Platz. Das Wüten und Toben der Wellen hört sich nicht mehr nach einem normalen Sturm an, der in den Morgenstunden wieder abflauen wird. Saldowrs Worte über den Gezeitenknoten schießen mir durch den Kopf. Saldowr befürchtet, der Knoten könne sich lösen und die Gezeiten nicht mehr an ihrem Platz halten. Er hat auch gesagt, dass manche Bewohner von Indigo dies begrüßen würden. Sie wollen, dass unsere Welt in den Fluten versinkt, damit Indigo noch mächtiger wird.

    Dass unsere Welt in den Fluten versinkt. Das Blut stockt mir in den Adern, als der scharfe Wind, der unter unserer Haustür hindurchpfiff, mir mit einem Mal mitten ins Gesicht schlägt. Wäre es möglich, dass unsere Welt ebenso dem Untergang geweiht ist wie die versunkene Stadt auf den Verlorenen Inseln? Könnte das wirklich geschehen?
    Neue Wolkenpakete sind dabei, den Mond zu verschlucken. Doch was mir der Mond offenbart hat, ist tief in mein Bewusstsein eingebrannt: sich ringelnde, windende Schlangen. Als ich den Gezeitenknoten betrachtete, kam er mir ebenfalls wie ein Schlangennest vor, doch damals waren die Schlangen Gefangene des Steins …
    Ich werfe einen Blick auf die lange Reihe der Häuser. Licht blinkt zwischen den Vorhängen hindurch. Rainbow und Patrick wohnen in einem dieser Häuser – demjenigen, das sich ganz am Ende befindet. Vermutlich sitzen sie im Wohnzimmer vor dem Kamin, lauschen dem Wind, fühlen sich

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