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passiert ist, ist natürlich ebenso ernst... sehr ernst
bestimmt, aber...“
„Ich bitte Sie“, sage ich
lächelnd. „Ich verstehe, was Sie meinen.“
„Danke. Entschuldigen Sie, daß
ich so herumstottere, aber... wir sind besorgt... und wenn man besorgt ist...
na ja, Sie verstehen...“
„Ich verstehe sehr gut. Worüber
sind Sie besorgt?“
„Uber unsere Tochter... äh...
meine Stieftochter. Die Tochter meiner Frau. Sie ist... hm... Ich bin nicht ihr
Vater und möchte nicht schlecht über sie reden... es könnte falsch verstanden
werden...“
Er sieht seine Frau an.
„Entschuldige, Marthe. Aber ich
glaube, wir dürfen nichts verschweigen...“
Mit einer Handbewegung gibt sie
freie Fahrt.
„Sie ist ein eigensinniges
Kind“, fährt er fort. „Unberechenbar, unabhängig, leichtsinnig, verlogen. Da
kommt ziemlich viel zusammen, finden Sie nicht? Aber das ist die ungeschminkte
Wahrheit. Man sagt, das sei die Jugend von heute. Ich weiß nicht. Wir meinen,
sie ist seelisch nicht im Gleichgewicht. Sie könnte Dummheiten machen...“
Er macht eine Pause, um mir
Zeit zu lassen, mich mit den Fehlern seiner Stieftochter anzufreunden. Ich tu
mein Bestes. Dann bemerke ich:
„Mir scheint, Sie sollten sich
besser an einen Arzt wenden. Ein Privatdetektiv kann da nicht viel machen.“
„Oh, doch! Leider... Sie ist
nämlich verschwunden. Aus dem Haus geflüchtet.“
„Seit wann?“
„Seit fünf Tagen.“
Ich muß mich beherrschen, daß
ich nicht laut loslache. Aber innerlich kann ich mir’s nicht verkneifen. Die
Welt ist noch viel kleiner, als der Volksmund behauptet.
„Fünf Tage. Sie haben lange
gewartet, bevor Sie etwas unternommen haben...“
„Wir haben uns nicht sofort
Sorgen gemacht. Wir haben erst mal herumgehört. Bei unseren Bekannten, ihren...
na ja, überall da, wo sie sein könnte. Das hat ‘ne Weile gedauert. Dann hab ich
Ihren Namen in der Zeitung gelesen, die Lobreden auf Ihre Fähigkeiten. War gar
nicht so einfach, Sie zu erreichen.“
„Und die Polizei?“
Er hebt die Hand.
„Wir wollen die Polizei nicht
einschalten. Sollte unsere Tochter eine Dummheit begangen haben, möchten wir
das ohne Aufsehen regeln.“
„Na schön. Also, bevor wir
weiterreden, möchte ich gerne ein Foto von unserem Nestflüchter sehen.“
„Das dachte ich mir.“
Er nimmt ein Album vom Tisch,
schlägt es auf und reicht mir ein Foto. Sie ist es. Béberts Freundin. Dieser
elegante Käfer aus dem Güterwaggon.
„Sie heißt Christine, nicht
wahr?“
„Ja. Christine Delay .
Aber...“
Spät schaltet er, aber er
schaltet. Das Ehepaar Montolieu fährt hoch.
„Woher wissen Sie, daß...“
„Ich weiß es eben. Und Sie haben
recht: sie könnte Dummheiten machen. Mindestens zwei hat sie schon gemacht. Sie
ist einem jungen Strolch in die Finger geraten. Und sie hat mein Auto geklaut.“
Die beiden sind platt. Charles
Montolieu rappelt sich hoch:
„Ich begreife nicht...“
Das begreife ich sehr gut. Ich
lache.
„Sie sehen, Monsieur“, sage
ich, „was in der Zeitung stand über meine Fähigkeiten, war nicht übertrieben,
hm? Ich finde Vermißte wieder, bevor man mich damit beauftragt. Was will man
mehr? Allerdings... kurz nachdem ich Ihre Tochter gefunden habe, hab ich sie
gleich wieder verloren. Ich mußte heute nachmittag —
aus persönlichen Gründen — zu einem kleinen Gangster, der in einem
umfunktionierten Güterwaggon haust, auf einem unbebauten Gelände. Bei ihm war
ein junges Mädchen, Christine, Ihre Tochter. Sie hatte Angst vor... vor
irgendetwas... vor mir vielleicht. Jedenfalls ist sie mit meinem Wagen
abgehaun.“
Bedrücktes Schweigen. Drückend.
„Das ist außergewöhnlich“, sagt
Montolieu.
„Darauf bin ich eben
spezialisiert. Hab ich Ihnen doch schon gesagt. Sie geht zur Foire du Trône ,
trifft einen jungen Mann. Hübscher Kerl. Nicht sehr vornehm, aber fotogen und
lässig. James Dean für verträumte kleine Mädchen. Sie ist mit ihm in den Waggon
gegangen.“
„Wollen Sie damit sagen…“ ruft
Madame Montolieu.
„Ja, Madame. Die beiden jungen
Leute werden nicht nur die Sterne gezählt haben.“
„Mein Gott!“
Sie bedeckt ihr Gesicht mit den
Händen. Ihr Mann räuspert sich.
„Und... Und sie hat Ihren Wagen
gestohlen?“
„Ja. Wie gesagt, sie hatte
Angst.“
„Wovor?“
„Vielleicht können Sie’s mir
sagen.“
Ich taste nach Lancelins Foto.
Aber zuerst finde ich das Geld, das Bébert mir gegeben hat. Ich halte es dem
Weinhändler vor die Nase und
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