no_way_out (German Edition)
durchzuschlagen. Ich blieb stehen, mitten drin in einer Landschaft wie in einem Märchen. Vielleicht hätte ich sie schön gefunden, wären nicht die Bullen oder Jakes Männer hinter mir her gewesen, und hätte mir nicht die Frau des schwarzen Mannes mit jeder Geschichte, die sie mir und meiner Schwester vorgelesen hatte, die Angst vor solchen Wäldern tiefer in die Seele gebrannt.
Ich schaute nach vorn. Edy war aus meinem Blickfeld verschwunden. Einen Pfad konnte ich nicht erkennen. Das Rauschen des Wassers war meine einzige Orientierungshilfe. Mit zusammengepressten Lippen stolperte ich vorwärts, dorthin, wo ich durch die Bäume dunklen Fels zu erkennen glaubte.
Zwischen diesen Bäumen tauchte plötzlich Edy auf. Sie kam auf mich zu, nicht wie eine gütige, rettende Waldfee, sondern wie eine zu allem entschlossene Kriegerin, packte mich am Arm und zerrte mich neben sich her. Ihr Griff war hart und schmerzhaft, doch er hielt mich auf den Beinen.
Das Tosen wurde lauter. Nur ein dichter Gebüschstreifen trennte uns noch vom Fluss. Es hätte keinen Sinn gemacht, uns durch das Dickicht zu schlagen. Deshalb gingen wir parallel dazu weiter. Ein paarmal mussten wir ziemlich große Gesteinsbrocken umgehen, doch bei keinem von ihnen fanden wir auch nur die kleinsten Anzeichen eines Pfads. Gerade als ich dachte, dass wir unmöglich noch weiter in die Schlucht vordringen konnten, blieb Edy stehen und zeigte auf einen Durchgang zwischen zwei Felsblöcken.
»Er ist zu schmal für uns beide«, sagte sie. »Du gehst voraus.«
Die Wände lagen dicht beieinander. Meine Schultern streiften den feuchten Fels. Mit angehaltenem Atem und eingezogenem Kopf zwängte ich mich durch den engen Korridor. Gleich nach dem Durchgang stieg der Pfad ein paar Meter steil über eine Geröllhalde an, danach wand er sich über dem Fluss am Fels entlang hoch und endete an einer Abbruchstelle. Der Anblick trug nichts dazu bei, das beklemmende Gefühl in meinem Brustkasten zu lösen.
»Was ist?«, fragte Edy. »Warum gehst du nicht weiter?«
Ich machte ihr Platz und ließ sie die Antwort selber herausfinden. Sie legte den Kopf in den Nacken und schaute hoch. Es war keine Pose, wie die auf dem Sprungbrett am Pool. Was ich sah, war die echte Edy. Nichts Aufgesetztes, nichts Arrogantes, nur das, was sie wirklich ausmachte. Es klingt bestimmt total bescheuert, aber sie war wunderschön, trotz der roten Flecken im Gesicht, trotz der strähnigen Haare, trotz meines alten, viel zu weiten Kapuzenpullovers, den sie immer noch trug. Ich war so in ihren Anblick versunken, dass ich erschrak, als sie sich bewegte und mir ihren Kopf zuwandte. Sie schien es nicht zu bemerken oder sie war für ein Mal so nett, sich einen beißenden Kommentar zu verkneifen.
»Es ist machbar«, meinte sie. »Wir gehen hoch.«
Ich wollte widersprechen. Ihr erklären, wie verrückt das war. Ich tat es nicht. Nicht, weil es sinnlos gewesen wäre, sondern weil laute Rufe zu uns drangen. Jemand hatte unser Versteck gefunden. Wenn wir es nicht ganz schnell schafften, den Fels vor uns hochzukommen, würden sie uns kriegen.
philosophin @philosophin
Selbst wenn die Zeit alle Wunden heilt, bleiben Narben.
Ich klammerte mich an wildes Gestrüpp und zog mich Meter um Meter vorwärts. Schau einfach nicht nach unten, befahl ich mir. Ich schaute auch nicht nach oben, sondern konzentrierte mich nur auf den nächsten Schritt.
Eins nach dem anderen , sagte Smiley. Unter mir tobte der Fluss. In mir die Angst. Je weiter ich hochkletterte, desto weniger Büsche gab es. Es blieben scharfe Felskanten, an denen ich mir die Haut aufriss, und lockeres Geröll, auf dem meine Füße immer wieder ausrutschten. Als ich endlich völlig erschöpft vor der Abbruchstelle stand, wusste ich, dass ich keine Chance hatte, sie zu überwinden. Und ich war allein. Edy war weg.
Sie konnte dieses fast senkrechte Nichts unmöglich passiert haben. War sie abgestürzt? Ich traute mich nicht, nach unten zu schauen. Bebend klebte ich am Fels und stand kurz davor, wie ein Baby loszuflennen.
»Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht.« Edy klang wie eine Krankenschwester, die dem Patienten sagt, es werde alles gut. »Es gibt genügend Stellen, an denen du Halt finden kannst.«
Für mich sah das anders aus. An den Fels gepresst, kämpfte ich gegen Bilder an, in denen ich abglitt und in die Tiefe fiel.
»Rechte Hand zwanzig Zentimeter nach rechts. Auf gleicher Höhe«, wies mich Edy an. »Rechter Fuß
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