no_way_out (German Edition)
hatte mit meinem Bein keine Chance. Edy schon.
Noch bevor ich all das zu Ende gedacht hatte, stürmte ich ins Nebenzimmer. Edy schreckte hoch.
»Sie kommen«, sagte ich. »Du musst raus hier.«
Die ganze Zeit hatte ich Angst vor diesem Moment gehabt, aber jetzt, wo ich in der Falle saß, war ich hellwach und total konzentriert.
»Und du?«, fragte Edy.
»Ich halte sie auf. Vielleicht sind es Jäger oder Bullen. Dann geht’s nur um mich und du bist in Sicherheit.«
»Nein.« Edy war genauso voll da wie ich. »Wenn es Jakes Männer sind, komme ich da draußen keine hundert Meter weit.«
Sie hatte recht. Ich schnappte mir einen Stuhl und blockierte die Türklinke. Edy zog den Tisch durch den Raum. Wir rückten ihn so dicht wie möglich vor die Tür.
»Keine Jäger«, flüsterte Edy. »Die würden reden.«
Es waren auch keine Bullen. Die hätten die Hütte umstellt und mir dann zugerufen, dass ich rauskommen und mich ergeben solle. Das ganze Bullenprogramm eben.
Es waren Jakes Männer und sie kamen direkt zur Sache. »Gib uns das Mädchen!«
»Sie ist nicht hier!«, rief ich. »Ist mir abgehauen!«
Die Eingangstür erzitterte unter einem harten Schlag.
»Geh nach nebenan!«, befahl ich Edy leise. »Versteck dich unterm Bett. Ich lenk sie ab.«
Edy zog ein Messer aus dem Messerblock und verschwand im Nebenzimmer. Weitere Schläge erschütterten die Tür. Lange würde sie nicht mehr standhalten! Ich schnappte mir den Messerblock und brachte mich beim Regal in Stellung.
Beim nächsten Schlag gab die Tür nach. Holzsplitter flogen durch den Raum, Stuhl und Tisch rutschten über den Boden. Schwarz gekleidete, vermummte Typen drängten in den Raum. Ich warf ihnen entgegen, was ich in die Finger bekommen konnte. Das bremste sie, genauso wie der Tisch, der zwischen mir und ihnen lag, aber all das änderte nichts daran, dass drei von ihnen wie Bulldozer auf mich zukamen, während der vierte im Nebenzimmer verschwand. Ich zerrte zwei Messer aus dem Messerblock und stürzte mich den Angreifern entgegen. Dabei schrie ich wie ein Irrer und schlug wild um mich. Eins der Messer traf auf Widerstand, blieb jedoch nicht stecken, sondern glitt ab. Bevor ich erneut ausholen konnte, erwischte mich ein Fuß an der rechten Hand. Das Messer flog durch die Luft und landete unter der Eckbank. Ein Schlag in die Kniekehle riss mich von den Beinen. Harte, schwere Körper warfen sich auf mich. Ein Stiefel quetschte mein linkes Handgelenk auf die Dielen, bis ich keine Kraft mehr hatte und das zweite Messer losließ.
Schreie gellten durch den Raum. Diesmal nicht meine, sondern die von Edy. Zwei der Typen zerrten mich hoch. Wehrlos hing ich in ihrem Griff und musste zusehen, wie die anderen beiden Edy in den Raum schleppten. Eine Klinge blitzte auf.
»Edy«, flüsterte ich.
Sie hörte auf zu schreien. Ich schloss die Augen und wartete auf den Stich und den Schmerz. Ein Stoß schleuderte mich zu Boden. Ich wartete immer noch auf den Schmerz. Da war ein Messer gewesen! Es musste irgendwo in mir stecken und in meinem Schockzustand konnte ich es nicht spüren.
»Raus hier!«, brüllte eine Stimme. »Da kommt jemand!«
Draußen röhrte ein Motor. Eine Autohupe ging los. Stiefel polterten über die Dielen. Einer der Typen beugte sich über mich und drückte mir etwas Glitschiges in die Hand. Wagentüren knallten. Dann wurde es still. Keine Stiefel mehr, keine Hupe, nur mein Atem und mein Herzschlag.
»Mick!«, rief eine vertraute Stimme. »Edy!«
Smiley? Er war hier! Er hatte sein Versprechen gehalten.
Ich hob den Kopf und suchte nach Edy. Sie lag zusammengekrümmt auf dem Boden. Smiley kauerte sich neben sie und starrte sie an.
»Sag ihr, sie kann aufstehen«, keuchte ich. »Sie sind weg.«
Smiley drehte sich zu mir um. Sein Gesicht war leichenblass. »Ich glaube, sie ist tot.«
Nein! Sie konnte nicht tot sein! Sie durfte nicht tot sein! Ich musste etwas tun. Die Zeit zurückdrehen! Nur für zwei Minuten. Oder wenigstens für neunzig Sekunden. Dann konnte ich alles anders machen. Ich brauchte neunzig Sekunden. Nur neunzig Sekunden. Verdammte, beschissene, lausige neunzig Sekunden, um alles anders zu machen. Gott, gib mir diese neunzig Sekunden! Du schuldest sie mir. Für all die Stunden, in denen ich auf den Knien zu dir beten musste.
Gott verhandelt nicht über die Zeit. Er lässt sie weiterlaufen. Wenn du deine Schwester loslässt. Wenn jemand stirbt, der unter deiner Haut ist. All das geht ihn einen Scheiß an. Neunzig
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