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no_way_out (German Edition)

no_way_out (German Edition)

Titel: no_way_out (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Gabathuler
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leierte sinnloses Zeug herunter, alles im Tonfall eines Buddhas, und ganz langsam begann ich zu begreifen, dass ich nicht blind war. Es war nur ziemlich düster, weil wir uns in einer ausgeschwemmten Felskuhle befanden. Wir trieben auch nicht mehr im Wasser, sondern klammerten uns an ein Stück Schwemmholz, das aus einem Spalt im Gestein ragte. Smiley versuchte, mich dazu zu bringen, das Holz loszulassen und mir von ihm auf einen Vorsprung im Fels hochhelfen zu lassen. »Nein.« Meine Zähne schlugen aufeinander.
    »Du kannst im Wasser erfrieren oder dich von mir hochziehen lassen.« Smiley klang nicht mehr wie ein Buddha, sondern wie ein Bulle, der mich zwischen Todesstrafe und Lebenslänglich wählen ließ. Ich wählte den Felsvorsprung.
    »Ich klettere voraus. Wenn ich Jetzt sage, greifst du nach meiner Hand. Alles klar?«, fragte er mich.
    Alles klar. Wenn ich seine Hand verpasste, soff ich ab.
    »Solltest bei Gelegenheit mal schwimmen lernen«, meinte Smiley. »Ist gar nicht so schwer.«
    Bevor ich ihn anschreien konnte, war er weg. Ich hing an dem festgekeilten Schwemmholz und fühlte, wie die Strömung an mir zerrte und die letzte Kraft aus meinen Armen schwand.
    »Jetzt!«, rief Smiley.
    Ich sah etwas fuchteln, ließ das Holz los und griff nach dem Arm. Smiley packte mich und zog mich hoch. Meine Füße gewannen Halt, meine freie Hand ertastete einen kleinen Vorsprung. Schwimmen konnte ich nicht, aber das mit dem Klettern bekam ich hin. Von Edy gelernt, dachte ich und fühlte einen Stich im Herz.
    Ein letzter Ruck, und der Schwung trug mich auf die Felsplatte über dem Wasser. Es klickte. Ein schwaches Licht leuchtete einen Teil der Höhle aus, in der wir uns befanden. »Spezialtaschenlampe«, murmelte Smiley. »Miniausgabe. Hatte so ein Gefühl, dass wir sie brauchen würden.«
    »Wo hast du denn die her?«, krächzte ich.
    »Gehört den Jägern«, sagte er. »Ich bring sie zurück, wenn wir sie nicht mehr brauchen.«
    Ich wusste, dass er das tun würde. Smiley klaute nicht. Nie.
    Wir hörten die Suchtrupps mit ihren Hunden und ich begriff, weshalb mich Smiley nicht ans Ufer gebracht hatte. Die Hunde hätten unsere Spur aufgenommen und uns in kurzer Zeit gefunden.
    »Das kann dauern.« Smiley lehnte sich an den Fels und streckte die Beine aus. »Erzähl mir von Sina.«
    »Woher weißt du von ihr?«, fragte ich verwirrt.
    Mehr als vier Wochen war ich bei ihm gewesen und hatte nie über meine Schwester gesprochen. Wenn ich richtig darüber nachdachte, hatte ich noch nie mit jemandem über sie gesprochen. Außer mit Edy.
    »Ich war auch in der Hütte«, erinnerte mich Smiley.
    Ich erzählte ihm von Sinas dunklen Wuschelhaaren, durch die ich so gerne mit meinen Händen gefahren war. Von ihren riesigen Kohleaugen, in denen ich versinken konnte. Von ihrer Narbe am Kinn, die sie sich bei einem Sturz von der Schaukel geholt hatte, an dem Mutter mir die Schuld gegeben hatte. Von Sinas Teddybär, ohne den sie nie schlafen ging. Von ihren neugierigen Fragen, die ich nicht beantworten konnte, weil ich nicht wusste, warum der Himmel blau war und warum zu anderen Kindern der Weihnachtsmann kam, aber zu uns nicht. Wie ich eine Antwort auf die Weihnachtsmannfrage erfunden hatte. Davon, wie sie manchmal zu mir ins Bett kroch, als wir noch bei Mutter wohnten, und sich an mich kuschelte, weil Mutter im Wohnzimmer mal wieder einen Typen anschrie, den wir nicht kannten. Ich erinnerte mich, wie sie roch, und dass ich mich gefragt hatte, ob alle kleinen Kinder so rochen und ob ich auch so gerochen hatte. Ich laberte und laberte und laberte wie Smiley an einem guten Tag.
    Schwieriger wurde es, als Smiley mich nach dem schwarzen Mann fragte. »Wer war er eigentlich?«, wollte er wissen.
    »Unser Pflegevater. Pfarrer. Immer in Schwarz. Hat mir Gott ausgetrieben.«
    »Gab es auch eine schwarze Frau?«
    »So ähnlich. Sie war sein Schatten.«
    Und genauso kalt wie ein Schatten. Es gab keine Liebe, wo sie war. Nur Pflicht, Gehorsam und den Gott, den sie mit ihrem Mann teilte.
    »Was ist mit euren Eltern?«
    »Zwei Väter, eine Mutter. Meinen Vater habe ich nicht gekannt, den meiner Schwester wahrscheinlich schon, aber ich weiß nicht, welcher der Typen es war.«
    Ich hatte eine Vermutung. Der sanfte nette Kerl, der versucht hatte, das Gute in unserer Mutter zu sehen. Er wäre der gewesen, den ich mir für Sina gewünscht hätte, aber er war weg, lange bevor sie auf die Welt kam, denn in unserer Mutter war das Gute sehr tief vergraben.

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