no_way_out (German Edition)
Wände und Möbel gleiten ließ. Meter um Meter leuchtete er den Raum aus und es wurde immer klarer, warum Jake von einer Lusthöhle gesprochen hatte. Isabellas Reich war ein warmes Nest aus alten Möbeln, bequemen Sesseln, Teppichen in warmen Farben und einem Bett mit unzähligen Kissen, Decken und Überwürfen. Überall waren Bilder. An den Wänden, auf Malstaffeln, auf langen Holztischen. Ich verstehe nichts von Kunst und ich hatte auch keine Ahnung, ob Isabellas Bilder wirklich Kunst waren, aber für mich hatten sie alle etwas Verlorenes. Das Verrückte war, dass ich mich darin finden konnte.
Ich erinnerte mich an das Schluchzen, das ich in meiner ersten Nacht in der Villa gehört hatte, und wusste, dass es von Isabella gekommen war.
»Wo fangen wir an?«, flüsterte Smiley.
»Bei den Bildern.« Es war ein Gefühl. Isabella hatte ihre Seele gemalt. Vielleicht hatte sie darin auch ihre Geheimnisse versteckt.
»Böse, böse Dinge über böse, böse Jungs«, sagte ich zu Smiley. »Das suchen wir.«
Noch einmal ließ Smiley den Lichtstrahl über die Bilder gleiten. Keines passte wirklich zu bösen Jungs. Wie ein fröhlicher Tupfer tanzte der Lichtkegel der Lampe über stürmische Meere, karge Felslandschaften, verblühende Blumengärten, abstrakte Nichts. Ein lebender Punkt in einer großen Leere. Mit jeder Minute, die wir länger irrlichterten, stieg die Gefahr, entdeckt zu werden.
»Es gibt keine Bilder von Jungs oder Männern«, sagte Smiley und machte das Licht aus.
»Warte!«, bat ich ihn. »Vielleicht sind irgendwo noch mehr.«
»Es gibt auch Schränke und Kommoden, die wir durchsuchen können.«
»Das hat Jake doch längst getan!«
»Dann hat er sich auch die Bilder angeschaut.«
Smiley hatte recht. Und trotzdem kam ich nicht von der Idee los, dass Isabella ihre Beweise gegen Jake bei den Bildern versteckt hatte.
»Unterm Bett?«, schlug Smiley vor.
»Nein.« Alles, was nach Versteck aussah, hätte Jake misstrauisch gemacht. Das musste Isabella klar gewesen sein, auch wenn sie sonst eine sehr verwirrte Frau gewesen war. Ich versuchte mich zu erinnern, was Isabella mir sonst noch gesagt hatte, außer das mit den bösen Dingen und den bösen Jungs.
»Mick!«, drängte Smiley.
»Gibt es einen zweiten Raum?«, fragte ich.
»Glaube nicht.«
»Dann haben wir etwas übersehen.«
»Wir haben noch gar nicht überall nachgeschaut.«
Smiley öffnete eine der Schranktüren.
»Oh, Mann«, flüsterte er.
Ich stand mir gegenüber. Nicht in einem Spiegel. Dazu sah ich zu unwirklich aus. Aber genau so kaputt, wie ich war. Ich war ein Bild. Auf der Innenseite der Schranktür. Isabella musste mich gemalt haben – wahrscheinlich in den drei Tagen, die mich Doc Walters Höllenmix ausgeknockt hatte. Sie war nicht fertig geworden und trotzdem war das auf eine unheimliche Art eindeutig ich. Smileys zitternder Lichtkegel machte alles noch viel unheimlicher.
»Andere Tür«, krächzte ich.
Smiley zog sie auf. Noch ein Bild! Hektisch ging Smiley von Schrank zu Schrank. Als er alle Türen geöffnet hatte, standen wir sechs Gemälden gegenüber. Fünf Jungs. Fünf böse Jungs, nach gängigen Maßstäben. Ich war einer davon. Alle waren jung, alle auf ihre Art kaputt. Es gab andere. Solche wie dich. Manchmal brachte Mam sie nach Hause, manchmal Jake. Sie schliefen mit ihr, nahmen ihr Geld und brachen ihr Herz. Einen der jungen Männer erkannte ich. Leon. Der Sohn von Margot. Hatte Jake Leon angeschleppt? Hatte er seinen wahnwitzigen Plan schon einmal versucht? Oder war das Leben ein noch größerer Spieler als Jake? Hatte es Isabella Leon in irgendeiner Bar oder auf der Straße über den Weg laufen lassen? Zufall? Schicksal? Jake?
Es war die falsche Zeit, über solche Dinge nachzudenken. Ich zwang meinen Blick auf das sechste Bild. Edy. Isabella hatte die ganze Tussenshow und das Zickengehabe durchschaut. Sie hatte ihre Tochter gesehen, wie sie war. Und genauso hatte sie sie gemalt. Edy machte Isabellas geheime Sammlung komplett. Wunderschön und furchtbar zerbrechlich, mit Augen, in denen die Sehnsucht wie hinter einem Schleier verborgen lag. Sechs verlorene Seelen, gemalt von einem verlorenen Menschen. Isabella hatte in unser tiefstes Inneres geschaut und uns verstanden. Sie hatte uns in Schränke geschlossen und vor neugierigen Blicken geschützt. Ich war sicher, dass sie diese Türen nur geöffnet hatte, wenn sie ganz alleine gewesen war. Und dann hatte sie getrunken. Die Flaschen lagen zwischen der Wäsche,
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