Noah & Echo - Liebe kennt keine Grenzen
wie viel sie mir bedeutete. »Glaubst du, Mrs Collins wird es mir in die Schuhe schieben, dass du jetzt auch noch blaumachst?«
Echo setzte zu einer Antwort an, aber dann atmete sie bloß aus. Es war ein Versuch gewesen, ihre Stimmung ein wenig aufzuhellen, aber sie war so am Boden, dass sie kein Licht mehr sah.
Ich setzte mich neben sie. Ich konnte nicht anders, ich musste ihr durch die roten Locken streichen, die sich über ihren Rücken ergossen. Es war eine Notwendigkeit, sie in diesem Augenblick zu berühren. Der schlichte Grabstein gefiel mir:
Aires Owen Emerson: Sohn, Bruder, Marine.
»Woran hast du dich erinnert?«
Sie rieb das Kinn an ihren verschränkten Händen. »Er hat mich bei ihr gelassen. Bei meiner Mutter. Ich habe ihn angerufen, und er ist nicht rangegangen. Er … ist … einfach nicht rangegangen.« Echo ließ den Kopf sinken.
Ich streichelte weiter ihr seidiges Haar und lauschte dem Gezwitscher der Vögel. Ihre Schultern bebten nicht, keine Tränen liefen ihr übers Gesicht. Am schlimmsten war nicht das Weinen, das alle sahen, nein, am schlimmsten war es, wenn die Seele weinte und es keinen Trost gab. Ein Teil deiner Seele ging kaputt und vernarbte auf dem Teil, der überlebte. Bei Leuten wie Echo und mir hatte die Seele mehr Narbengewebe als Leben.
Sie zupfte an den Grashalmen. »Jetzt bin ich ganz allein. Aires ist tot, Mom Gott weiß wo. Meine Freunde … na ja, du weißt ja. Dad war immerhin eine Hoffnung, zumindest habe ich so getan, als hätte ich ihn. Ich habe versucht, die Tochter zu sein, die er sich wünschte und lieben könnte, aber …« Echo schüttelte den Kopf. »Ein Scheißgefühl, so allein zu sein.«
»Komm her, Baby.« Und als ich es sagte, lehnte Echo sich an mich: zart, biegsam, gebrochen. »Du bist nicht allein«, flüsterte ich in ihrem Haar und wiegte sie in meinen Armen. »Du hast mich.«
Und ich liebe dich, mehr als du dir vorstellen kannst
.
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Echo
Noah bot an, seine Schicht abzusagen, damit wir den Abend zusammen verbringen könnten. Ich hatte insgeheim darauf gehofft. Ich wollte für den Rest meines Lebens nur noch in seinen Armen liegen. Deshalb verlangte es mir meinen letzten Rest an Selbstkontrolle ab, mich nicht sofort auf sein Angebot zu stürzen. Ich wusste, wie dringend er das Geld brauchte. Außerdem schickte mir Lila seit Unterrichtsschluss alle zwei Minuten eine SMS .
»Dein Dad hat bei meiner Mom angerufen und nach dir gefragt«, sagte Lila jetzt neben mir. »Sie hat ihm gesagt, dass du hier bist.«
Wir saßen auf den gigantisch breiten Verandatreppen hinter ihrem Haus und schauten auf die angrenzenden Felder. Ein Windspiel klimperte in der sanften Brise, und die Sonne wärmte meine nackten Arme. »Kommt er mich holen?« Er musste inzwischen erfahren haben, dass ich die Schule geschwänzt hatte.
»Nein, aber meine Mutter soll dich daran erinnern, dass du um zwölf zu Hause sein musst.«
Ein hysterisches Lachen stieg in mir hoch, und je mehr ich es zu unterdrücken versuchte, umso heftiger wurde der Drang. Schließlich gab ich ihm einfach nach. Lila lächelte zuerst nur, dann ließ sie sich von mir anstecken. »Was ist so lustig?«
Ich holte tief Luft und wischte mir über die Augen. »Mein Vater lässt mich einfach krepieren, aber ich muss um Mitternacht nach Hause kommen.«
Lila kicherte. »Das hat was.« Dann seufzte sie. »Was willst du jetzt tun?«
»Ich weiß nicht.« Und ich wusste es wirklich nicht. Die bloße Vorstellung, nach Hause zu gehen, war wie Schmirgelpapier auf meinen Nerven. »Aber eine Sache weiß ich zumindest.«
»Was?«
»Ich vermisse das Gefühl der Sonne auf meiner Haut. Nur mal so aus Neugier: Wie würdest du reagieren, wenn ich kurzärmlig in die Schule käme?«
Lila lächelte. »Nicht anders, als wenn du langärmlig kommst.«
»Grace würde einen Herzinfarkt bekommen.«
»Grace soll zum Teufel gehen.« Lilas untypischer Zornesausbruch überraschte mich. »Wir haben noch zwei Monate bis zum Abschluss. Du kannst dich bemühen, es allen recht zu machen, oder du machst es dir selbst recht. Im nächsten Herbst genieße ich an der Uni Florida das Leben und denke nicht mehr daran, dass ich jemals mit Leuten wie Grace befreundet war. Ich habe meine Entscheidung getroffen. Und du?«
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Noah
Gleich nach dem Duschen wollte ich Echo anrufen und dann zu Antonio fahren, um noch den Rest der Party bei ihm mitzunehmen. Um elf würde Echo garantiert noch wach sein. Hoffentlich hatte Lila ihr helfen
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