Noah & Echo - Liebe kennt keine Grenzen
verließen. Zwei Blocks von der Schule entfernt kam uns ein Polizeiauto mit Blaulicht, aber ohne Sirene entgegen. Das war verdammt knapp gewesen.
Noah legte mir die Hand auf den Arm. »Alles okay, Baby?«
»Ja.« Aber ich fühlte mich alles andere als okay. Ich wartete darauf, dass mein Pulsschlag sich wieder beruhigte, der immer noch raste, als wäre das hier die Mutprobe zur Aufnahme in eine Straßengang, wartete, dass das Blut aus meinem Gesicht wich und ich nicht mehr so panisch nach Luft japsen musste. Es war alles noch mal gut gegangen, wir waren in Sicherheit, aber mein Körper reagierte, als wäre mir der Teufel auf den Fersen.
Noch ein Polizeiauto kam uns entgegen, und das blau-rot aufblitzende Licht schmerzte mir in den Augen. In meinen Schläfen hob ein Pochen an, das den Rhythmus des Blaulichts imitierte – fern und nah, nah und fern.
Meine linke Gesichtshälfte fühlte sich völlig taub an, und mir wurde schwindlig. »Noah, ich glaube, ich muss mich übergeben.«
»Warte.« Er bog auf einen leeren Parkplatz. Noch ehe der Wagen ganz still stand, warf ich die Tür auf, stolperte hinaus und würgte die Reste meines Stunden zurückliegenden Mittagessens heraus.
Noah stand neben mir und hielt mir die Haare aus dem Gesicht. Er schüttelte sich lautlos vor Lachen. »Im Ernst, du bist viel zu verklemmt.«
Etwas in mir wollte mitlachen, aber ich konnte nicht. Ich sank auf die Knie, setzte mich auf die Fersen und starrte in die Dunkelheit. Das aufblitzende Blaulicht war in meinem Kopf und ging einfach nicht weg. Rot und Blau, Rot und Blau. Nah und fern. Fern und nah.
Und dann … Dunkelheit. Kein Licht. Keine Geräusche. Dunkelheit …
Grelle, farbige Bilder blitzten in rascher Folge hinter meiner Stirn auf und trafen mich mit voller Wucht. Mein Kopf sank nach vorn, und ich verbarg ihn in den Armen. Mein Verstand zerrte an den Bildern, versuchte, sie zu sortieren, zu ordnen, aber ich schaffte es nicht – und der Kontrollverlust, dieses Bombardement, jagte messerscharfe, quälende Schmerzen durch meinen Schädel. Stimmen und Geräusche und hohe Schreie prasselten auf mich ein.
Ich merkte, dass ich schrie, und hörte Noah in angespanntem Ton auf mich einreden. Der Lärm von splitterndem Glas und meine eigenen Schreie übertönten ihn.
»Was ist passiert?« Ein Mann stand mit einer kleinen Taschenlampe in der Hand über mir. Hinter ihm blitzte rotes Licht auf, und dahinter schimmerten Sternbilder am Nachthimmel. Die Stimme meiner Mutter flüsterte mir ins Ohr und forderte mich säuselnd auf, ihrer Geschichte zu lauschen.
»Nein!« Ich kämpfte, um nicht in diesen Abgrund zurückzustürzen, zurück auf den Boden … in mein eigenes Blut. »Noah!«
Seine Stimme klang heiser, als er mir zurief: »Ich bin da, Baby, ich bin bei dir.«
Der Mann nahm die Taschenlampe weg. Ein Stethoskop hing um seinen Hals. »Hast sie irgendwelche Drogen genommen? Alkohol?«
Der Zorn in Noahs Stimme schmeckte bitter auf meiner Zunge. »Hör zu, du verdammtes Arschloch, zum fünften Mal, sie ist clean.«
Er ignorierte Noah und rieb mir mit den Händen den Halsansatz. »Hasch? Meth? Irgendwelche Pillen?«
Du darfst keine Schlaftabletten nehmen
. Meine eigene Stimme aus meinem Hinterkopf. Nein. Nein. Oh Gott, nein. Gravitationskräfte pressten mich zu Boden, mein Verstand versackte in einem kreiselnden Sog, der mir die Wirklichkeit entriss.
»Du hast Depressionen.« Ich schüttelte die leere Tablettendose und kam taumelnd aus dem Badezimmer meiner Mutter. Dann stieß ich mit dem Knie gegen ihr Buntglasbild, das sie zwischen zwei Stühlen zum Trocknen aufgestellt hatte.
Meine Mutter saß auf der Couch, ein Glas Eistee in der einen, ein Foto von Aires in der anderen Hand. Sie trank entschlossen. Ihr Blick wanderte von meinem leeren Glas Eistee auf dem Couchtisch zu mir. Ihre ungestümen roten Locken quollen aus der Haarspange. »Ich weiß.«
Ich schwankte, und alles war auf einmal schräg. »Was hast du getan?«
»Hab keine Angst, Echo. Bald werden wir wieder mit Aires zusammen sein. Du hast doch gesagt, dass du ihn vermisst und alles geben würdest, um ihn wiederzusehen. Und ich auch.«
Das Zimmer kippte nach links. Ich kämpfte darum, mich aufrecht zu halten, doch jetzt kippte ich nach rechts und fiel trotzdem. Alles stürzte über mir zusammen. Das Geräusch von splitterndem Glas, begleitet von sengenden Schmerzen und lauten Schreien. Den Schreien meiner Mutter. Meinen eigenen Schreien. Ich machte die Augen auf
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