Noah: Thriller (German Edition)
räusperte sich. Er wollte Zaphire nicht anfassen. Nicht einmal seine Hand berühren, die auf der Bettdecke lag und in der ein Zugang steckte.
Er räusperte sich noch einmal.
Eine Zeit lang geschah nichts. Dann schien Zaphire seine Anwesenheit im Schlaf bemerkt zu haben und wachte auf. Langsam.
Seine Lider flackerten. Sie zu öffnen schien ihm unendlich viel Kraft abzuverlangen. Immer wieder senkten sie sich zitternd, schoben sich dann wieder Millimeter um Millimeter nach oben, nur um doch wieder in ihre Ruheposition zu fallen. Es dauerte mehrere Minuten, in denen Noah seinen Vater nur stumm beobachtete.
Die Ärzte hatten gesagt, es wäre nicht abzusehen, wie stark seine gesundheitlichen Schäden seien und ob er die Verbringung ins Militärgefängnis nach Washington überleben würde. Der Krankheitsverlauf war längst nicht so dramatisch wie bei Altmann, aber wegen seines Alters und vor allem wegen der schweren Schussverletzung nach dem Attentat war Zaphires Körper so geschwächt, dass sie ihm allenfalls eine Fifty-fifty-Chance einräumten.
»Es tut mir leid.«
Noah schrak zusammen. Er hatte darüber nachgedacht, ob es ihm etwas ausmachen würde, wenn sein Vater jetzt direkt vor seinen Augen starb, und dabei nichts als eine tiefe Leere empfunden, aus der ihn die unerwartete Ansprache Zaphires jetzt gerissen hatte.
»Was tut dir leid?«, fragte er ihn. »Dass du mich ermorden wolltest? Oder den halben Planeten?«
»Dass wir gescheitert sind.«
Seine Stimme klang um einen Halbton höher als sonst, so als hätte die Infektion seine Stimmbänder schrumpfen lassen.
»Wir?«
»In erster Linie du, John.«
Noah wollte sich abwenden. Es war ein Fehler gewesen herzukommen.
»Du bist nicht besser als ich«, provozierte ihn sein Vater. Zaphire war nicht rasiert. Im Schlaf hatte sich ein Speichelfaden um die Bartstoppeln am Kinn gelegt.
»Ich habe keine Seuche freigesetzt«, sagte Noah leise beginnend, dann mit jedem Wort lauter werdend, bis er am Ende brüllte: »Ich habe nicht Millionen Menschen vergiftet, also vergleich dich nicht mit mir!«
Zaphire nickte, dann schloss er wieder die Augen. Sein Brustkorb hob und senkte sich gleichmäßig, fast schon mechanisch. »Nein, das hast du alles nicht getan, John. Und dennoch wirst du schon bald sehr viel mehr Tote zu verantworten haben.«
»Was soll das denn wieder heißen?«
Zaphire schlug die Augen auf und suchte Noahs Blick. »Man hat mir alles gesagt. Das Robert-Koch-Institut hat die Federführung übernommen und entwickelt auf Basis der Informationen, die du den Feinden gegeben hast, ein Mittel, mit dem Stufe drei in weniger als zwei Wochen Geschichte sein wird. Bis dahin werden nicht einmal acht Millionen Menschen gestorben sein. Bravo, John. Gut gemacht.«
Noah verzog angewidert das Gesicht. »Du bist nicht mehr klar im Kopf.«
»Oh doch. Klarer, als du es jemals gewesen bist.«
Zaphire fasste sich an die Schläfen. Offenbar hatte er Kopfschmerzen. Verkrustete Nasenhaare wiesen darauf hin, dass er auch unter Nasenbluten litt.
»Was glaubst du denn, geschieht jetzt mit all den Seelen, die du gerettet hast?«, wobei »gerettet« bei ihm wie ein Schimpfwort klang. »Ich bin in Haft. Mein Imperium ist zerschlagen. Cezet, meine Tochter, auf der Flucht. Ich sieche dahin und bin komplett handlungsunfähig. Und was ist damit gewonnen? Nichts. Die Menschen sterben trotzdem. Nur qualvoller. Und ihr Todeskampf dauert länger. Sie verdursten, verhungern, schlachten sich in Kriegen ab oder verrecken an Krankheiten, für die wir ihnen die Medikamente verweigern. In vierzig Jahren geht das Öl aus. Dabei beginnen Indien, China und alle anderen Schwellenländer gerade erst damit, die Rohstoffe zu vernichten, um die sich bald über neun Milliarden Menschen die Köpfe einschlagen werden. Eine Milliarde Menschen haben schon jetzt keinen Zugang zu Trinkwasser. Beinahe sekündlich stirbt ein Baby an Unterernährung, alle vier Minuten erblindet ein Mensch, weil er sich kein Vitamin A leisten kann. 13 Millionen pro Jahr davon sind Kinder …«
»Also ermorden wir sie lieber gleich?«, unterbrach Noah seinen heiseren Redeschwall. »Wie lange schon hast du deinen Verstand verloren? Wir reden hier über Menschen. Nicht über ein Pferd, dem man den Gnadenschuss gibt.«
Zaphire schob den Unterkiefer vor. »Schön, dann lass mal hören, John. Was ist denn dein Lösungsvorschlag? Abwarten und hoffen, dass die Wohlhabenden aufwachen und ihr Leben ändern? Das wird nicht passieren.
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