Noah: Thriller (German Edition)
hörte Noah eine fremde Stimme in seinem Kopf schreien:
»Es ist nicht mehr aufzuhalten.«
»Es ist nicht mehr aufzuhalten.«
»Es ist nicht mehr aufzuhalten.«
Wieder. Und wieder. Und wieder.
So lange, bis Noah es nicht mehr ertrug und endlich die Augen öffnete.
Obwohl das Licht gedimmt war, dauerte es eine Weile, bis Noah sich daran gewöhnt hatte, exakt in dem Hotelzimmer zu stehen, das er eben noch in einer verstörenden Erinnerungsrückblende gesehen hatte. Benommen ging er zu dem Kamin, stützte sich auf einem Knie ab und strich mit der Hand über den seidigen Teppich. Er meinte, einen Übergang zu spüren, eine Stelle, in der die Fasern etwas härter und, im schrägen Winkel betrachtet, auch etwas heller waren, so als wäre das Zimmermädchen an dieser Stelle einem Fleck mit einem aggressiven Reinigungsmittel zu Leibe gerückt. Aber er war sich nicht sicher.
Ich bin mir keiner Sache mehr sicher.
Heiße ich Dr. Morten?
Habe ich in dieser Suite gewohnt?
Wurde hier auf mich geschossen?
Und ein Mann vor meinen Augen getötet?
Das Einzige, was Noah in dem Moment klar wurde, in dem er wieder aufstand und seinen Blick durch die Suite wandern ließ, war, dass das alles hier kein Zufall sein konnte.
Und dass ihm im Augenblick nicht nur große Teile seines Gedächtnisses fehlten.
Auch Oscar war mit einem Mal verschwunden.
14. Kapitel
Adam Altmann war so sehr in Gedanken über sein armseliges Leben versunken, dass er die Gefahr nicht bemerkte, die in letzter Sekunde am U-Bahnhof Gleisdreieck zugestiegen war.
Er hatte einen Gangplatz in Fahrtrichtung gewählt (damit ihm nicht schlecht wurde), wie immer war er äußerst korrekt gekleidet, wie ein Anwalt auf dem Weg in seine Kanzlei. Der Scheitel so akkurat wie die Bügelfalte seiner schwarzen Anzughose, der Kamelhaarmantel ohne Knötchen (die entfernte er täglich mit einem Rasierapparat), den Rücken in gerader Haltung, ohne sich anzulehnen, damit Mantel und Jackett nicht unnötig Falten warfen. Aus diesem Grund schlug er auch nie die Beine übereinander. Ein Kollege hatte einmal gesagt, seine Sitzhaltung wäre die eines Sünders auf der Anklagebank – die Schuhe exakt parallel nebeneinandergestellt, die Hände im Schoß verschränkt, den Blick nach unten gerichtet. Genauso verharrte er auch jetzt, im vorletzten Abteil der U2 auf der Fahrt Richtung Pankow, weswegen er den Ärger nicht kommen sah.
Mit ihm und den Zugestiegenen befanden sich noch vier weitere Fahrgäste im Abteil: ein vollbärtiger, bärbeißig wirkender Rentner hinter ihm, weiter vorne ein junges Mädchen, das auf einer der seitlichen Bänke Platz genommen hatte und trotzig in ihr Handy starrte. Ein Handwerker mit farbbesprenkelter Cordhose an der Tür lehnend, daneben ein langhaariger Türke, der nervös zu den beiden Halbstarken blickte, die mit streitlustigem Blick durch den Zug schlenderten.
Adam Altmann nahm von alledem keine Notiz. Er dachte nach.
Was er falsch gemacht hatte. Und ob er es sich selbst zuzuschreiben hatte.
Natürlich habe ich das.
Menschen gaben gerne anderen die Schuld für ihr Versagen. Dabei waren die, die sich am lautesten beschwerten, nach Altmanns Meinung meist die, die es sich ganz alleine eingebrockt hatten.
So wie ich.
Bei ihm war es der Klassiker: zu viel Arbeit, zu wenig Zeit für die Familie. Zu viele Geschäftsreisen, zu wenig Urlaub. Genug Geld für ein freistehendes Einfamilienhaus mit Garten. Aber nur ein einziges Mal mit der Tochter im Sandkasten gespielt. Heute war Leana fünfzehn.
Verdammt.
In den letzten zwölf Monaten hatte er sechshunderttausend verdient. Und was blieb ihm nach Abzug von Steuern, Lebensqualität und Sozialkontakten? Ein Kingsize-Bett in einem Vier-Sterne-Businesshotelzimmer mit kostenlosem WLAN-Zugang und Aussicht auf den Parkplatz einer fremden Stadt.
Eine Million Bonusmeilen, aber keinen einzigen Freund.
Adam sah auf die Armbanduhr, ein schlichtes Modell aus dem Duty-free irgendeines Flughafens. Fast zweiundzwanzig Stunden des Tages waren verstrichen, und nicht einer hatte ihm gratuliert. Kein Bekannter, kein Kollege, weder Ex noch Tochter. Dabei hatte er es sogar auf Facebook gepostet.
»Happy birthday to me.«
Ausnahmsweise mit einem Smiley dahinter, obwohl er diese Zeichentrickkommunikation verabscheute. Wenn seine Tochter ihm eine Mail schickte, meist, um nach Geld zu fragen, konnte er vor hüpfenden Kreiseln, wackelnden Daumen und zwinkernden Grinsekugeln kaum ein einziges Wort erkennen. Eine Unart, wie
Weitere Kostenlose Bücher