Noah: Thriller (German Edition)
Mitarbeiter im Aufbruch. Sie eilten mit iPad, Klemmbrett oder Notizblock bewaffnet an Celine vorbei in den großen Konferenzsaal, ein von Plexiglasscheiben ummantelter, rechteckiger Raum in der Mitte des Großraumbüros, in dem es schon jetzt keine Sitzplätze mehr gab.
Celine konnte sich den Anlass dieser außerplanmäßigen Sitzung denken. Drei- bis viermal im Jahr gab es solche Strike-Days, wie Kevin Rood sie nannte. Tage, an denen der Blitz einschlug und alles durcheinanderwirbelte, so wie heute die Flughafensperrung. Celine überlegte kurz, ob sie Tasche und Mantel an ihrem Arbeitsplatz ablegen sollte, entschied sich dann, keine weitere Zeit zu verlieren, als sie Kevin aus seinem Büro treten sah. Der Chefredakteur balancierte zwei Wegwerfbecher mit Kaffee in beiden Händen, die Koffein-Standarddosis, ohne die er nie sein Glasbüro verließ.
»Ah, gut, dass du da bist, Celine«, rief er. Bei ihr angekommen, stellte er einen der beiden Kaffeebecher auf dem nächstbesten Schreibtisch ab und reichte ihr die linke Hand. Celine bemühte sich, Kevin ein Lächeln zu schenken. Zwei Jahre arbeitete sie nun schon unter ihm, und obwohl der Chefredakteur sie immer zuvorkommend behandelt hatte, war sie nie warm mit ihm geworden. Sie wusste nicht, ob es an seinem Lächeln lag, das so aussah, als hätte er es sich von jemandem geborgt; an seinem teuren Sportwagen auf dem Parkdeck, der eher zu einem Angeber als zu einem auf den ersten Blick doch eher schüchternen Buchhaltertyp passte; oder an Kevins geradezu pedantischer Art, wie er seinen Apfel in der Kantine schälte, wohingegen sein Büro aussah, als wäre eine Windhose durchgefegt. Kevin Rood war wie ein Wohnzimmer mit Möbeln, die nicht zueinander passten und in dem man sich deshalb nie lange aufhalten wollte. Sie fühlte sich immer etwas unbehaglich in seiner Nähe.
»Ihr braucht sicher jeden Mann«, sagte Celine und löste ihre Hand aus der des Chefredakteurs, die er für ihren Geschmack ein wenig zu lange gehalten hatte.
»Kannst du wohl laut sagen.«
Kevin zog eine Fernbedienung aus seiner ausgebeulten Hosentasche, richtete sie auf den etwa zehn Schritte entfernt liegenden Konferenzraum, dessen Scheiben sich wie von Zauberhand verdunkelten, dank einem Gasgemisch im Hohlraum der Doppelverglasung, dessen Farbe sich unter Spannung veränderte. Eine technische Spielerei, mit der sämtliche Scheiben des Verlags statt der herkömmlichen Jalousien ausgestattet waren. Ein Wimpernschlag war vergangen, und niemand konnte mehr hinein- oder hinaussehen.
Celine und Kevin waren jetzt ganz allein im Großraumbüro. Nur das aufgeregte Gemurmel, das durch die geöffnete Tür des Sitzungssaals schwappte, zerstörte die Illusion, sie wären die Einzigen im Gebäude.
»JFK ist erst der Anfang«, klärte ihr Chef sie auf, und Celine wunderte sich über dieses Vorabbriefing. In wenigen Sekunden würde Kevin das Gleiche noch mal vor der versammelten Mannschaft erzählen müssen.
»Es geht das Gerücht, dass sie LaGuardia und Newark ebenfalls dichtmachen werden.«
»Soll ich mich gleich auf den Weg machen, oder willst du mich bei der Konferenz dabeihaben?«
»Weder noch.«
»Wie bitte?«
Celine begann in ihrem dicken Wintermantel zu schwitzen.
»Was soll das heißen, Kevin?«
»Du bleibst an der Noah-Story dran.«
»Soll das ein Witz sein? New York steht kurz vor dem Ausnahmezustand, und ich soll mich um einen PR-Gag kümmern?«
»Anweisung von Larry.«
Larry Farnham?
»Seit wann mischt sich der Herausgeber in unser Tagesgeschäft ein?«
»Ich habe jetzt keine Zeit für Diskussionen, Celine. Mach das, was man dir sagt. Setz dich an deinen Schreibtisch und halte Kontakt mit dem Obdachlosen. Ich erwarte stündliche Updates. Hier …«
Er reichte ihr einen Zettel, auf dem eine Telefonnummer notiert war, dann griff er sich seinen zweiten Kaffeebecher. »Ruf da in einer halben Stunde an, dann sollten die beiden auf dem Zimmer sein.«
Die beiden?
Kevin Rood ließ sie stehen. Ratlos und verwirrt sah Celine ihm nach.
Sicher, Noah war eine gute Story, das hatte sie selbst gespürt. Aber sie war nichts im Vergleich zu der Sperrung eines der größten Verkehrsknotenpunkte der Welt.
Sie wartete, bis Kevin die Tür zum Konferenzraum hinter sich geschlossen hatte, verharrte eine Weile in der unnatürlichen Stille der sonst so hektischen Redaktion und ging dann erst zu ihrem Schreibtisch, wo sie sich müde auf den Sitz fallen ließ.
Der Strauß, den Martha ihr angekündigt hatte,
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