Noahs Kuss - - ...Und plötzlich ist alles anders
wenn es darum geht, mich für irgendein Komitee anzuwerben. Sie ist die Vorsitzende unseres Schulkomitees zur Einberufung aller möglicher Arten von Komitees, zweifellos deswegen, weil sie das so gut kann wie niemand sonst.
» Was willst du denn jetzt schon wieder von mir, Lyssa?«, frage ich. (Sie ist an diesen Umgangston gewöhnt.)
» Es geht um den Ball der Lustigen Witwe«, sagt sie. » Ich möchte, dass du dich um die Ausstattung kümmerst.«
Ich bin mehr als erstaunt. Der Ball der Lustigen Witwe ist eine richtig große Sache an unserer Schule, und sich um die Ausstattung zu kümmern, bedeutet, für alles Mögliche verantwortlich zu sein, von der Saaldekoration bis zur Musik.
» Ich dachte, Dave Davison macht das«, sage ich.
Lyssa seufzt. » Sollte er auch. Aber der fährt jetzt plötzlich nur noch auf Goth ab.«
» Cool.«
» Nein. Überhaupt nicht cool. Die Leute sollten die Freiheit haben, auch was anderes als Schwarz anzuziehen. Also, was ist? Machst du’s oder machst du’s nicht?«
» Hab ich noch etwas Zeit, um drüber nachzudenken?«
» Hast du. Sechzehn Sekunden.«
Ich zähle bis siebzehn und sage dann: » Ich mach’s.«
Lyssa nickt, murmelt irgendwas von wegen, morgen früh werde sie mir den Budgetplan in mein Schließfach werfen, dann geht sie.
Das Budget für den Witwenball dürfte ziemlich groß sein, da bin ich mir sicher. Der Ball wurde vor ungefähr dreißig Jahren oder so eingeführt, nachdem eine reiche Witwe und Gönnerin unserer Stadt in ihrem Testament eine Klausel eingefügt hatte, dass als Gegenleistung für ihre Spende einmal im Jahr an unserer Schule ein prächtiger Ball veranstaltet werden soll. (Ganz offensichtlich war sie in ihren jungen Jahren eine sehr lebenslustige Person.) Die einzige Auflage, die wir erfüllen müssen, ist, ein Porträt von ihr aufzustellen, und zwar an einer gut sichtbaren Stelle im Saal, und mit diesem Porträt (hier wird es jetzt etwas seltsam) muss mindestens ein Junge aus der Abschlussklasse tanzen.
Ich habe gleich mehrere Ideen zu einem Motto-Ball und lasse mich dadurch ablenken. Dann erinnere ich mich an meine neue Lebensperspektive, hier und jetzt, nach dem Ende des Schulunterrichts, und setze meine Suche nach Schließfach 262 fort… nur um nach wenigen Schritten von meiner Englischlehrerin aufgehalten zu werden, die mir zu meinem Referat über Oscar Wilde gratulieren will, das ich gestern bei ihr gehalten habe. Ich werde sie nicht so schnell los, und ich werde danach auch Infinite Darlene nicht so schnell los, die von mir wissen will, wie ich sie denn nun in ihrer Doppelrolle bei der Homecoming-Parade gefunden habe.
Die Minuten versickern. Ich hoffe, dass Noah ebenfalls aufgehalten wird und dass wir beide im selben Augenblick an seinem Schließfach eintreffen, dass also eine dieser wunderbaren Schicksalsfügungen stattfindet, die immer ein Zeichen dafür sind, dass sich Großes ereignen wird.
» Hallo, Boy Romeo.«
Ted ist plötzlich an meiner Seite, aber zum Glück geht er weiter, während er redet.
» Hallo«, sag ich zurück.
» Wo willst du hin?«
» Schließfach 262 .«
» Aber ist das nicht im ersten Stock?«
Ich stöhne auf. Natürlich hat er recht.
Wir gehen zusammen die Treppe hoch.
» Hast du Joni gesehen?«, fragt er.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass das Schicksal einen ausgeprägten Sinn für Ironie hat (oder zumindest einen ziemlich schwarzen Humor). Denn wie sonst ließe sich erklären, dass genau in dem Augenblick, als ich neben Jonis Mal-ja-mal-nein-Dauerfreund hergehe und er mich fragt » Hast du Joni gesehen?«, der nächste Schritt unausweichlich darin besteht, auf der letzten Treppenstufe anzukommen und vollen Blick auf Joni und Chuck zu haben, die sich innig umarmen und gerade zu einem Kuss ansetzen?
Joni und Chuck bemerken uns nicht. Ihre Augen sind in erwartungsvoller Leidenschaft geschlossen. Alle anderen ringsum haben angehalten, um sie anzustarren. Die beiden sind die rote Ampel in der Rushhour nach dem Unterricht.
» Schlampe«, flüstert Ted, plötzlich rot geworden. Dann macht er kehrt und stürmt die Treppe hinunter.
Ich weiß, dass Noah auf mich wartet. Ich weiß, dass Joni sofort erfahren wird, dass Ted und ich sie gesehen haben. Ich weiß, dass ich Ted eigentlich nicht so rasend sympathisch finde. Aber mehr als alles andere weiß ich, dass ich ihm hinterhermuss, um zu sehen, ob er den Schock von eben auch verkraftet.
Er ist immer ein paar Schritte vor mir, rennt durch die Eingangshalle,
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