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Noahs Kuss - - ...Und plötzlich ist alles anders

Titel: Noahs Kuss - - ...Und plötzlich ist alles anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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Kerzen aus. Ich stehe immer noch am selben Fleck und sage seinen Namen. Die letzte Kerze steht auf dem Grabstein der toten Witwe. Kyle beugt sich vor und bläst sie aus. Tiefblaue Schatten umhüllen uns. Ich sage noch einmal seinen Namen. Keine Antwort. Nur das Geräusch seiner sich entfernenden Schritte.

Tony
    Ich bitte Amber, für mich bei Tony anzurufen. Als er am Telefon ist, reicht sie das Handy an mich weiter, und ich frage ihn, ob ich bei ihm vorbeikommen kann. Er sagt, er hat eine Stunde Zeit, bevor seine Mutter von ihrem Gebetskreis zurückkommt.
    Emily bringt mich hin. Aus ihrem respektvollen Schweigen schließe ich, dass sie aus Kyles hastigem Abschied, meinem eigenen verwirrten Zustand, unserem plötzlichen Aufbruch und meinem Bedürfnis nach respektvollem Schweigen ihre eigenen Schlüsse gezogen hat. Wahrscheinlich kommt sie damit den tatsächlichen Ereignissen ziemlich nahe.
    Bei Tony ist die Haustür nicht abgeschlossen. Ich marschiere direkt zu ihm ins Zimmer hoch. Nach einem Blick in mein Gesicht fragt er mich, was passiert ist, und ich erzähle ihm alles.
    Während ich rede, hört man im Haus mehrere Standuhren schlagen. Ein Dielenbrett knarzt unter Geisterschritten. Wir lauschen angestrengt auf jedes Geräusch– das Garagentor, das sich öffnet, ein Schlüssel, der im Schloss der Tür zwischen Garage und Küche umgedreht wird.
    Ich erzähle Tony von Noah, ich erzähle Tony von Kyle und ich erzähle jedes Wort, das Kyle zu mir gesagt hat. Ich breite alles vor ihm aus, meine Verwirrung, meine Verletzung, meine Wut, ich halte nichts zurück. Wie immer spart er sich seine Kommentare bis ganz zum Schluss auf, ermuntert mich durch Kopfnicken und kurze Nachfragen, fortzufahren.
    Ich erwarte, dass er am Ende erklärt, wie falsch Kyle mit seiner Aussage über mich liegt, dass er aus Verwirrung, Verletzung und (ja) auch Wut heraus so geredet hat, aber dass das nicht die Wahrheit ist. Stattdessen sagt Tony: » Weißt du, Kyle hat recht.«
    » Wie bitte?« Ich habe ihn verstanden, aber ich will ihm die Chance geben, seine Meinung noch einmal zu ändern.
    » Ich habe gesagt, Kyle hat recht. Ich weiß genau, was er meint.«
    Es bringt mich dermaßen aus der Fassung, als Tony das sagt, dass ich einen Moment lang wegsehen muss. Ich blicke auf den ganzen unschuldigen Krimskrams ringsum in seinem Zimmer, Relikte seiner Kindheit– Baseball-Eintrittskarten, Fotos von Sportwagen–, die er sich noch nicht durch Symbole und Insignien seines jetzigen Lebens zu ersetzen getraut hat. Alles in diesem Zimmer ist noch genauso wie beim ersten Mal, als ich mich hier umgeschaut habe. Nur das, was sich unter der Oberfläche verbirgt, hat sich geändert.
    » Weißt du überhaupt, Paul«, fährt Tony fort, » wie viel Glück du in deinem Leben hast?«
    Natürlich weiß ich das. Obwohl ich zugeben muss, dass ich eher dazu neige, mir immer zu sagen, dass andere Menschen einfach mehr Pech haben, als mich für vom Schicksal besonders begünstigt zu halten.
    » Ich weiß, dass ich Glück habe«, sage ich, vielleicht ein wenig rechtfertigend. » Aber das heißt nicht, dass alles für mich leicht ist. Kyle hat gesagt, für mich sei alles leicht.«
    » Das ist doch nichts Schlechtes, Paul.«
    » Nein, aber wie er es gesagt hat, war es das doch. Und so wie du es sagst, auch.«
    Tony sitzt im Schneidersitz auf dem Fußboden und zupft an einem Faden seines Pullis herum.
    » Als ich dich kennengelernt habe«, sagt er, nicht direkt zu mir, nicht direkt zum Boden, irgendwo dazwischen, » konnte ich gar nicht glauben, dass jemand wie du tatsächlich existiert oder dass es eine Stadt wie die, in der du lebst, tatsächlich geben kann. Ich dachte, ich wüsste einigermaßen, wie die Dinge laufen. Ich dachte, ich würde jeden Morgen mit einem Geheimnis aufwachen und jeden Abend mit demselben Geheimnis wieder einschlafen. Ich dachte, mein Leben würde erst richtig anfangen, wenn ich hier rauskäme. Ich hatte das Gefühl, viel zu früh etwas Wichtiges über mich herausgefunden zu haben. Und dass es keine Möglichkeit gibt, diese Wahrheit ungeschehen zu machen. Und ich wollte sie ungeschehen machen, Paul. Ich wollte das so sehr. Dann habe ich dich in Big City getroffen und danach im Zug, und plötzlich war mir, als wäre eine Tür aufgestoßen worden. Ich merkte, dass ich nicht mehr so weiterleben konnte wie bisher, weil ich plötzlich vor Augen hatte, dass es eine andere Möglichkeit gibt, mit dem Leben umzugehen. Und ein Teil von mir jubelte auf.

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