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Nobels Testament

Nobels Testament

Titel: Nobels Testament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liza Marklund
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die Kinder. Sie goss ihnen Milch ein und tat Reis auf und brachte selbst ein paar Bissen hinunter.
    »Warum habt ihr geschrien?«, fragte Kalle, und Annika schloss die Augen.
    »Wir sind einfach müde«, sagte sie.
    »Wo ist Papa?«, fragte Ellen.
    »Er musste noch einmal zurück ins Büro«, sagte Annika.
    Die Kinder aßen fast nichts, pappsatt, wie sie von dem Magnum-Eis waren. Sie zwang sie nicht, aufzuessen, sondern ließ sie einen Film anschauen, während sie abräumte und die Spülmaschine anstellte.
    Ihre Bewegungen waren ruckartig und blitzschnell. Sie fühlte sich, als wäre sie gar nicht anwesend.
    »Mama«, sagte Kalle, »ich bin müde.«
    Sie setzte sich aufs Sofa und nahm ihn in den Arm.
    »Das kann noch mit deinem Kopf zusammenhängen«, sagte sie. »Sollen wir heute alle mal früh ins Bett gehen?«
    »Ich will bei dir schlafen«, sagte Ellen und schmiegte sich an sie.
    »Ich auch«, sagte Kalle und kuschelte sich von der anderen Seite an sie.
    Sie hielt ihre Kinder in den Armen und unterdrückte die Tränen.
    »Ihr dürft beide bei mir schlafen«, sagte sie, »wie findet ihr das?«
    »Und Papa?«, fragte Ellen.
    »Für den ist auch noch Platz«, sagte Annika. Sie nahm die beiden bei der Hand und zog sie vom Sofa hoch. »Also los!«
    Sie durften jeder auf seiner Seite in dem großen Doppelbett liegen. Annika blieb noch lange bei ihnen, las etwas vor und redete und flüsterte und küsste.
    Ich habe die Kinder, dachte sie. Die Kinder kann er mir nicht wegnehmen.
    Annika zog die Gardinen vor, und als die beiden sich zusammengerollt hatten, verließ sie das Zimmer und schloss vorsichtig die Tür. Sie ging in Ellens Zimmer. Sie war eine kreative Schludermaus, täglich, ja stündlich kreierte und erfand sie Dinge. Ihre gesamte Umgebung trug Spuren ihrer enormen Energie. Kalle war ordentlicher, ihm gefiel es, Dinge nach dem Alphabet zu ordnen und seine Autos in Reih und Glied aufzustellen. Sie räumte die Kinderzimmer auf, sammelte Kleider und Blätter und Stifte ein, und während sie sich nach Apfelresten und Eisstielen beugte, beschlich sie die Verzweiflung. Sie kam leise von hinten, und sie konnte nichts tun, um sie fernzuhalten.
    Thomas, dachte sie, ich liebe dich wirklich, verzeih mir, verzeih mir.
    Das Telefon klingelte. Sie ließ Ellens Malbuch fallen und rannte die Treppe hinunter. Jetzt ruft er an, jetzt ruft er an!
    Wir haben uns so dumm benommen! So gedankenlos und destruktiv! Natürlich können wir das wieder geradebiegen, wir haben doch so viel zu verlieren.
    Sie riss den Hörer von der Gabel und spürte die Freude in ihrer Stimme.
    »Hallo!«
    »Was haben Sie gesagt?«, fragte eine Frauenstimme.
    Wer …?
    »Hallo …?«, sagte sie noch einmal.
    »Benjamins Mutter. Was haben Sie getan? Haben Sie
mein Kind
bedroht?«
    Oh nein, jetzt war sie dran. Sie kniff die Augen zusammen und presste die Handfläche gegen die Stirn.
    »Ja«, flüsterte Annika, »ja, das habe ich getan.«
    Die Frau war völlig aufgelöst.
    »Sind Sie nicht ganz richtig im Kopf? Laufen Sie durch die Gegend und bedrohen
kleine Kinder?
«
    »Ja«, sagte Annika, »und wollen Sie auch wissen, warum?«
    »Sie gehören eingesperrt! Wie ist es möglich, dass Sie frei herumlaufen?«
    »Ihr Sohn hat meinen Jungen von einem zwei Meter hohen Klettergerüst gestoßen. Er musste mit sieben Stichen genäht werden und hat eine Gehirnerschütterung davongetragen. Die Ärzte mussten eine Computertomografie machen, um eine Hirnblutung auszuschließen. Ihr Sohn hätte meinen Sohn umbringen können, und Ihnen und Ihrem Mann war das scheißegal.«
    »Das ist nicht das Schlimmste. Das Schlimmste ist, dass Sie kleinen Kindern mit Mord drohen.«
    »Nein«, sagte Annika und sank auf einen Stuhl. »Das ist nicht das Schlimmste. Wissen Sie, was noch übler ist?«
    Am anderen Ende wurde es still.
    »Was denn?«, fragte die Frau.
    »Das Schlimmste ist«, sagte Annika, »dass ich es genau so meine. Und sollte mein Sohn jemals einem anderen Kind etwas Ähnliches antun, dann hoffe ich, dass die Eltern sich Kalle ebenfalls zur Brust nehmen.«
    »Das kann doch nicht Ihr Ernst sein«, meinte die Frau und klang inzwischen eher erstaunt als wütend.
    »Doch«, sagte Annika. »Und ich hoffe, Sie haben einen so guten Draht zu Ihrem Kind, um ihm erklären zu können, dass ich einen Fehler gemacht habe. Es war nicht richtig, ihn zu bedrohen, das ist mir auch klar, aber ich meine es ernst. Wenn er noch einmal auf Kalle losgeht, kann ich für nichts mehr

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