Noble House 02 - Gai-Jin
seit… seit dem, was nie geschehen ist. »Ich will helfen, Pater, so gut ich kann«, sagte sie mit zunehmender Nervosität und schickte sich erneut zum Gehen an.
»Warten Sie!«
Die Heftigkeit in seiner Stimme schockierte sie. »Pater?«
»Bitte… warten Sie, bitte warten Sie, mein Kind«, sagte die Stimme jetzt freundlich, aber die Freundlichkeit war erzwungen, und das erschreckte sie, denn nun war die Stimme nicht mehr die eines Priesters und Unantastbaren an einem geheiligten Ort, sondern die eines Fremden. »Wir müssen über diese Heirat reden, und seine Konversion, mein Kind, und uns vor bösen Einflüssen hüten, ja, das müssen wir, die Konversion ist ein Muß, ein Muß als Vorbereitung auf… auf die Ewigkeit.«
»›Muß‹, Pater?« murmelte sie. »Wollten Sie sagen, ein ›Muß‹ als Vorbereitung auf die Trauung?«
»Auf… auf die Ewigkeit«, sagte die Stimme.
Sie starrte auf den Schatten hinter der Trennwand, sicher, daß er log, entsetzt, daß sie das auch nur denken konnte. »Ich will nach Kräften helfen«, sagte sie, stand auf und rang durch die Vorhänge nach Luft.
Doch er stand ihr im Weg. Sie bemerkte Schweiß auf seiner Stirn und daß er sie an Größe und Umfang überragte. »Es ist seiner… seiner eigenen Rettung wegen. Seiner, mein Kind. Es wäre besser, wenn es vorher geschähe.«
»Pater, wollen Sie damit sagen, daß seine Konversion ein Muß ist, bevor Sie uns trauen?« fragte sie angstvoll.
»Die Bedingungen obliegen nicht mir, Seine Eminenz entscheidet, und wir richten uns danach, wir sind treue Diener!«
»Die Kirche meines Verlobten verlangt nicht, daß ich Protestantin werde, und so kann ich ihn natürlich auch nicht zwingen.«
»Man muß erreichen, daß er die Wahrheit sieht! Dies ist eine von Gott gesandte Gabe, diese Heirat. Protestantisch? Undenkbar, Sie wären für immer verloren, verdammt, exkommuniziert, Ihre ewige Seele zu dauerhafter Qual im Feuer verdammt, verdammt zu brennen, in Ewigkeit zu brennen!«
Sie hielt den Blick gesenkt und konnte kaum zusammenhängend denken. »Für Sie, ja, für ihn… Millionen glauben etwas anderes.«
»Sie sind alle verrückt, verloren, verdammt, und sie werden ewig brennen!« Die Stimme verhärtete sich noch mehr. »Das werden sie! Wir müssen die Heiden bekehren. Dieser Malcolm Struan muß kon…«
»Ich werde es versuchen, auf Wiedersehen, Pater, danke… ich werde es versuchen«, murmelte sie, trat zur Seite und eilte fort. An der Tür drehte sie sich einen Moment um, beugte das Knie und trat hinaus ins Licht. Er stand im Kirchenschiff, den Rücken zum Altar, und seine Stimme hallte die ganze Zeit in den Dachsparren wider: »Seien Sie ein Werkzeug Gottes, bekehren Sie den Heiden; wenn Sie Gott lieben, so retten Sie diesen Mann, retten Sie ihn vor dem Fegefeuer, wenn Sie Gott lieben, dann retten Sie ihn, helfen Sie mir, ihn vor dem Höllenfeuer zu retten, retten Sie ihn zum Ruhme Gottes, Sie müssen… ehe Sie heiraten, retten Sie ihn, lassen Sie uns ihn retten, retten Sie ihn…«
An diesem Abend kam aus dem Wachhaus am Nordtor eine Samurai-Patrouille: zehn Krieger, bewaffnet mit Schwertern und leichten Kampfpanzern, ein Offizier an ihrer Spitze. Er führte sie über die Brücke und passierte die Barriere zur Niederlassung. Ein Mann trug ein schmales Banner mit Schriftzeichen darauf. Die vorangehenden Samurai hielten Fackeln hoch, die seltsame Schatten warfen.
Die High Street und die Uferstraße waren an diesem Abend noch voller Menschen. Händler, Soldaten, Matrosen, Ladenbesitzer, die spazierengingen oder in Gruppen zusammenstanden, schwatzten und lachten, hier und da Betrunkene und ein oder zwei vorsichtige männliche Prostituierte. Unten am Strand hatten ein paar Matrosen ein Feuer angezündet und tanzten angeheitert einen Hornpipe. Ein Transvestit war unter ihnen, und aus der Ferne hörte man die lärmenden Geräusche von Drunk Town.
Die beunruhigenden Gestalten wurden bemerkt. Menschen blieben stehen. Gespräche wurden mitten im Satz unterbrochen. Alle Augen richteten sich nach Norden. Diejenigen, die der Patrouille am nächsten waren, drückten sich aus dem Weg. Nicht wenige tasteten nach einem Revolver und fluchten, daß er nicht in Tasche oder Halfter war. Andere zogen sich zurück, und ein dienstfreier Soldat in einer Gasse nahm die Beine in die Hand, um die Nachtwache der Navy zu rufen.
»Was ist los, Sir?« fragte Gornt.
»Nichts, zumindest vorerst«, sagte Norbert mit grimmigem Gesicht.
Sie befanden
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