Noble House 02 - Gai-Jin
»Auf diese Weise kann sich die Intimität der Nacht auf den Tag ausdehnen«, hatte sie gesagt.
»Bitte?«
»Auf diese Weise wird sich das, was Sie einmal gesehen haben, nie verändern, was immer die Götter bestimmen.«
Ein Zittern durchlief sie. Sosehr sie sich auch bemühte, sie konnte das Gefühl nicht loswerden, daß die Saat der bösen Wunden Gottes, die er ihr eingepflanzt hatte, Kräfte sammelte, wuchs und sich darauf vorbereitete, überall aufzubrechen. Täglich untersuchte sie sich selbst äußerst gründlich. Nur Raiko war die Aufgabe anvertraut, dafür zu sorgen, daß auch die Stellen, die sie selbst nicht sehen konnte, ebenso gründlich untersucht wurden. Bislang waren sie makellos. »Täglich ist zuviel, Hinodeh«, hatte Raiko gesagt, bevor sie dem Kontrakt zugestimmt hatte. »Vielleicht passiert jahrelang nichts…«
»Tut mir leid, Raiko-san. Täglich, das ist eine Bedingung.«
»Warum stimmen Sie all dem zu? Sie haben doch eine Zukunft. Vielleicht erreichen Sie nie die erste Klasse, aber Sie sind gebildet, Ihre Mama-san sagt, Sie hätten eine lange Liste von Kunden und Sie könnten einen wohlhabenden Kaufmann oder Bauern heiraten.«
»Danke für Ihre Sorge, Raiko-san, aber Sie haben mit meiner Mama-san vereinbart, daß Sie mich nie fragen werden, woher ich komme oder welche Gründe ich habe. Dafür teilen Sie sich mit ihr einen Anteil an dem Geld, das ich dieses und vielleicht nächstes Jahr noch verdienen werde. Lassen Sie es mich noch einmal sagen, ich akzeptiere den möglichen Kontrakt aus freien Stücken.«
O ja, ich wollte ihn, und welches Glück ich habe!
Sie war jetzt zweiundzwanzig. Geboren war sie in einem Bauernhof außerhalb Nagasakis, und im Alter von fünf Jahren wurde eine der vielen Vermittlerinnen der Schwimmenden Welt, die durch das Land reisten und nach Kindern suchten, die sich zu geishas eigneten, auf sie aufmerksam. Ihre Eltern stimmten zu und erhielten Geld sowie einen Schuldschein über fünf jährliche Zahlungen, beginnend in zehn Jahren, wobei der Betrag vom Erfolg des Kindes abhängig war.
Als Künstlerin war sie nicht erfolgreich gewesen, doch als Dame für das Kopfkissen wurde sie nach ihrem Debüt im Alter von fünfzehn Jahren für ihre Mama-san bald wichtig, da sie besser erzogen war als ihre Altersgenossinnen. Damals lautete ihr Name Gekko, Mondstrahl, und obwohl es zu dieser Zeit in Nagasaki viele Ausländer gab, kannte sie keinen einzigen von ihnen, da in ihrem Haus nur Japaner von höchstem Rang empfangen wurden.
Eines Tages im Oktober empfing sie einen neuen Kunden. Er war ein Jahr älter als sie, achtzehn, ein Goshi und der Sohn eines Goshi – ein durchschnittlicher Schwertträger und Soldat, aber für sie der Mann ihrer Träume. Seine Name war Shin Komoda.
Ihre Leidenschaft erblühte. So sehr die Mama-san sich auch bemühte, die gegenseitige Anziehung zu zerstören – der junge Mann war arm, seine Rechnungen blieben unbezahlt –, nichts, was sie tat oder sagte, zeigte irgendeine Wirkung. Bis zum Frühling des folgenden Jahres. Ohne Gekko davon zu unterrichten, ging die Mama-san zum Haus des Jungen und bat seine Mutter höflich um Bezahlung.
Dafür war kein Geld da. Die Mutter bat um Zeit.
Dem Jungen wurde verboten, Gekko wiederzusehen. Er tat, als gehorchte er seinen Eltern, aber innerlich lehnte er sich auf. Nach einer Woche liefen die beiden Verliebten miteinander fort und tauchten im Gewimmel des Hafens unter. Dort änderten sie ihre Namen, und mit etwas gespartem Geld und einigem mitgebrachten Schmuck kauften sie sich die Überfahrt im Zwischendeck eines Schiffs, das an diesem Tag nach Edo segelte.
Shin Komoda wurde zum Ronin erklärt. Wieder ging die Mama-san zu seiner Mutter. Es war eine Sache der Ehre, die Rechnungen zu bezahlen. Der einzige wertvolle Besitz und Stolz der Mutter war ihr langes und schönes Haar. So ging sie zu einem Perückenmacher in Nagasaki, der ohne zu zögern ihren Schopf kaufte. Das Geld reichte gerade aus, um die Schulden zu bezahlen.
Gekko und Shin ging in Edo das Geld aus, aber sie fanden in den Armenvierteln der Stadt Unterschlupf. Und sie fanden einen buddhistischen Priester, der sie traute. Beide hatten keine Papiere und mußten ihre wirkliche Vergangenheit verschweigen, was das Leben schwierig machte, doch ein Jahr lang lebten sie glücklich. Die Armut machte ihnen nichts aus, denn sie genossen ihr Zusammensein, und ihre Liebe wuchs und war fruchtbar. Obwohl sie sehr sparsam lebten, konnten sie sich von seinem
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