Noble House 02 - Gai-Jin
Weise angreifen. Hier, lesen Sie ihre Briefe an Malcolm.«
Beide Männer waren erschrocken über Tess’ Gehässigkeit. Skye schüttelte bedauernd den Kopf: »Ein Jammer, aber sie enthalten nichts, was man gerichtlich verfolgen könnte. Sie würde behaupten, daß es sich um private Briefe einer Mutter an ihren Sohn handelt, in denen sie ihn verzweifelt vor einer Heirat warnt, wie es ihr gutes Recht ist. Und die Drohungen gegen Sie, gegen Sie als Person, Mrs. Struan, enthalten nichts, womit wir gegen sie vorgehen könnten.«
»Das ist nicht fair«, sagte Angélique.
»Skye, was ist mit ›Falls diese Frau jemals wieder Hongkonger Boden betritt, werde ich dafür sorgen, daß‹, hm?«
Jamie wollte Angélique nicht noch mehr verletzen und las daher nicht alles vor, was Tess Struan geschrieben hatte: … werde ich dafür sorgen, daß jeder anständige Mensch in Hongkong von ihrer Geschichte, der ihres Vaters und ihres Onkels und davon erfährt, daß ihre Mutter eine umherziehende Schauspielerin in einer Wandertruppe von Spielern, Zigeunern und Quacksalbern war und daß ihre eigenen persönlichen Finanzen bekannt werden.
»Ich schäme mich nicht, daß meine Mutter eine Schauspielerin war«, sagte Angélique nun scharf, die sich sehr wohl an den genauen Wortlaut erinnerte, »obwohl die meisten Engländer Schauspielerinnen als Dirnen betrachten. Nun, sie war keine. Und für die Sünden meines Vaters bin ich nicht verantwortlich; ich war nicht mittellos, er hat auch mir mein Geld gestohlen, nicht nur anderen Leuten.«
»Ich weiß.« Jamie wünschte, er hätte den Brief nicht erwähnt. »Skye, können Sie Beweise für Dirks Bestattung mit May-May beschaffen?«
»O ja, von Comprador Chen und Tess selbst. Aber keiner von beiden würde freiwillig damit herausrücken oder es zugeben. Man würde uns verhöhnen, und wir würden niemals eine Erlaubnis zur Öffnung der Familiengruft bekommen.« Skye hustete wieder und wieder. »Mrs. Angélique Struan muß die sterblichen Überreste ihres Gatten begleiten, sonst würde sie ihrer Stellung unermeßlichen Schaden zufügen, sowohl vor dem Gesetz als auch in der Öffentlichkeit. Aber nach Hongkong gehen? Gefährlich.« Er hatte Babcott und Hoag gebeten, die Formulierungen des Totenscheins abzumildern, doch wie erwartet hatte man ihm gesagt, dies sei nicht möglich. »Meiner Auffassung nach hat Mrs. Angélique recht, wenn sie dieses Risiko im Augenblick nicht eingeht, Jamie. In Hongkong wäre sie noch wehrloser als hier.«
»Sie würden ja auch hinfahren, Sie können ihr jeden nötigen Schutz geben.«
»Ja, aber das gäbe zwangsläufig einen Skandal, und den will ich in aller Interesse, einschließlich Tess Struans, um jeden Preis verhindern. Sie ist keine schlechte Frau, wenn man ihre Position aus der Sicht einer Mutter betrachtet. Meine Meinung ist, daß es zwangsläufig Stunk geben wird – die Frage ist, wie man den vermeidet oder möglichst gering hält.«
»Vielleicht kann man ihn in Grenzen halten«, sagte Jamie. »Tess ist kein Ungeheuer, auf ihre Art war sie immer fair.«
»Sie wird nicht fair sein, nicht zu mir«, sagte Angélique. »Ich verstehe sie. Nur eine Frau kann das wirklich verstehen. Sie wird glauben, ich hätte ihr ihren ältesten Sohn gestohlen und umgebracht. Malcolm hat mich vor ihr gewarnt.«
»Um sie aufzuhalten, brauchen wir Zeit«, sagte Skye. »Wir brauchen Zeit, um zu verhandeln, und vor der Bestattung haben wir die nicht.«
Als die beiden Männer gingen, war nichts gelöst.
Macht nichts, dachte Angélique. Ich werde Malcolm bestatten, wie er es gewollt hat, ich werde seine irdischen Güter erben, wenn es welche gibt, ich werde Tess Struan schlagen. Und ich werde Rache nehmen.
Die Briefe hatten sie verletzt, aber nicht so sehr, wie sie erwartet hatte. Ihre Tränen waren andere Tränen als zuvor. Und ich bin auch nicht mehr so wie früher. Ich verstehe das nicht. Ich bin wirklich sehr seltsam. Wird das anhalten? Ich hoffe es jedenfalls. Madonna, wie dumm ich war.
Ein Blick durch das Fenster zeigte ihr, daß der Tag bald in die Nacht übergehen würde. In der Bucht blinkten die Lichter der Schiffe, backbords, steuerbords und an den Mastspitzen, im Rhythmus der steigenden und fallenden Dünung. Was soll ich bloß tun?
»Missee?« Ah Soh stapfte herein.
»Tai-tai, Ah Soh! Bist du taub, heya?« sagte sie kurz angebunden. Malcolm hatte ihr den Ausdruck Tai-tai erklärt, und in seiner letzten Nacht hatte er sie in seiner Gegenwart von Ah Tok, Ah Soh
Weitere Kostenlose Bücher