Noble House 02 - Gai-Jin
verdammte Mörder am Leben blieb und sie fast zu Tode erschrecken konnte. »Medizinisch wäre es möglich, aber ich würde davon abraten«, sagte er mit einem Seitenblick auf Babcott, der diesen davor warnen sollte, etwas Gegenteiliges zu sagen. »Die Entscheidung, Sir William, betrifft eigentlich die Frage, ob er zurückgeschickt werden soll oder nicht. Falls nicht, meine ich, sollte er so bestattet werden, wie… wie seine Gattin es wünscht.«
Sir William zögerte, irritiert, daß seine Lösung nicht akzeptiert wurde. »Angélique, warum haben Sie etwas dagegen, mit dem Leichnam nach Hongkong zu reisen?«
»Ich bin dagegen, weil er dann nicht so bestattet werden wird, wie er es wollte, nämlich wie sein Großvater – seine Mutter könnte und würde die andere Geschichte niemals eingestehen. Ich bin seine Witwe, und ich sage Ihnen, seine Wünsche sind auch meine Wünsche – von ganzem Herzen.«
Sir William war unsicher über die gesetzlichen Grundlagen seiner Zustimmung oder Ablehnung und machte sich große Sorgen wegen Tess Struan, ihrer jetzigen Stellung als faktisches Oberhaupt des Noble House, ihres schriftlichen Widerstandes gegen die Heirat und darüber, was sie tun würde, wenn der Leichnam nicht zurückgeschickt wurde.
Auf jeden Fall wird sie Zeter und Mordio schreien, dachte er und zuckte dabei fast zusammen. Natürlich wird sie die Bestattung in Hongkong wollen, und sie sollte auch dort stattfinden, ob diese andere Geschichte nun wahr ist oder nicht, und ich wette fünfzig Pfund gegen einen roten Heller, daß sie versuchen wird, die Ehe zu annullieren, und die Chancen stehen nicht schlecht, daß sie das auch schaffen wird. Ob es Ihnen gefällt oder nicht, meine arme Lady, Sie bewegen sich also auf sehr riskantem Grund. »Ich fürchte, Sie machen ein ohnehin tragisches Geschehen noch komplizierter als nötig. Der arme Kerl kann ebensogut von Hongkong aus auf See bestattet werden. Am besten wäre es also…«
»Entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche, Sir William«, sagt Skye und fügte dann im Ton eines brillanten Kronanwalts beim Kreuzverhör hinzu: »Solange Sie nicht formell die Legalität der Ehe meiner Mandantin anfechten, hat sie gewisse Rechte. Darf ich Sie daher bitten, sich damit einverstanden zu erklären, daß in dieser Sache die Wünsche ihres Gatten und ihre eigenen Wünsche vorrangig sind, und ihn hier bestatten zu lassen?« Wie ein Kronanwalt, der sein Plädoyer für die Verteidigung zusammenfassend beschließt, sagte er dann leise und freundlich: »Malcolm Struans Tragödie begann hier und sollte auch hier enden.«
Trotz ihrer Entschlossenheit spürte Angélique, daß ihr die Tränen kamen. Aber sie weinte lautlos.
47
Nachdem Sir William und die anderen gegangen waren, debattierten Skye und Jamie noch eine Stunde lang. Angélique hörte mit versteinerter Miene zu. Sie hatte verloren. Nach Skyes Appell hatte Sir William erklärt: »Ich bedaure, aber ich habe heute nachmittag hier nichts gehört, was meine Meinung geändert hätte. Der Leichnam sollte zur Bestattung nach Hongkong zurückgebracht werden, entweder mit der Prancing Cloud oder mit dem Postdampfer. Sie können wählen, Madam. Die Unterredung ist beendet.«
Bitter sagte Skye: »Wenn wir in Hongkong wären, könnte ich aus einem Dutzend Gründen eine Verfügung beantragen, aber hier ist Sir William Gerichtshof, Richter und Jury in einem. Die Zeit reicht nicht, um hin und zurück zu fahren, was immer wir auch tun.«
»Dann ist nichts mehr zu machen«, sagte Jamie grimmig, erschüttert von ihrer Geschichte. »Sie müssen es akzeptieren, Angélique. Wir können nichts mehr tun, verflucht.«
»Ich kann nicht nach Hongkong gehen – ich muß bei der Bestattung anwesend sein.«
»Richtig«, sagte Skye und nickte.
»Wieso? Was soll Sie daran hindern?«
»Tess Struan«, sagte sie.
»Was kann sie tun? Sie kann Sie nicht daran hindern, an der Bestattung teilzunehmen, und sie kann die Trauung nicht ungeschehen machen. Nettlesmith schreibt in seinem Nachmittags-Leitartikel, daß sie vollkommen legal ist, obwohl Sie beide minderjährig waren. Fahren Sie mit dem Postdampfer, ich werde dafür sorgen, daß er gleichzeitig ausläuft wie die Prancing Cloud.«
»Nein. Tut mir leid, Jamie, Mr. Skye sagte schon, daß der Leitartikel nur eine Meinungsäußerung ist. Ich weiß, daß Tess Struan ihn nicht auf See bestatten wird, wie er es gewollt hat, ich bin sicher, daß sie es nicht tun wird. Und sie wird mich auf jede nur mögliche
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