Noch ein Tag und eine Nacht
Sohn ansah, und um ein Gespräch anzufangen, fabulierte ich, ich sei auf der Suche nach einer Überraschung für meine Tochter. Sie riet mir zu dem Fahrrad.
Wäre ich bei Michela auch so forsch und locker gewesen wie bei dieser Jungmutter, dann wäre ich abends zu der Feier gegangen, anstatt sinnlos durch die Gänge eines Supermarkts zu kurven.
An jenem Abend nach dem »Scheinkauf« machte ich einen langen Spaziergang. Doppelte Dosis Lasterfrönen. Im Gehen stellte ich mir Michela auf ihrer Abschiedsfeier vor. Ich sah sie lachen, scherzen, sah sie unter Tränen ihre Freundinnen umarmen. Auf dieser Feier fehlte einer. Ein Depp, der gerade allein durch die Stadt lief.
Zu Hause lehnte ich die Stirn gegen das Fenster und dachte weiter an sie. Ich weiß noch, dass das Fenster kalt war, mein Atem, der sich darauf niederschlug, sah aus wie ein pochendes Herz. An jenem Abend ging ich so spät schlafen, dass am Morgen der Akku meines Handys noch nicht vollständig aufgeladen war; ich schaltete es ein, rief aber keine Nachrichten ab, weil ich das schon vor dem Ausschalten getan hatte.
Wenn ich zu spät ins Bett gehe und auf die Uhr schaue, spüre ich schon die Müdigkeit des nächsten Tages. Ich weiß, dass ich spätestens nach dem Mittagessen nur noch nach Kaffee gieren werde.
Als ich am nächsten Morgen in die Straßenbahn stieg, war ich traurig. Mein Blick wusste nicht wohin, er flog hin und her wie ein Vogel, der einen Ast sucht.
Sie war das Highlight meiner Tage gewesen.
In der Mittagspause beschloss ich, schnell zum Flughafen zu fahren und ihr Lebewohl zu sagen, vielleicht mit dem Handschuh als Vorwand; dass ich ihn an mich genommen und vergessen hätte, ihn zurückzugeben. Vor allem aber weil ich mich geschämt hätte, sie nicht mal nach einer E-Mail-Adresse oder so gefragt zu haben. Ich beschloss, zu ihr zu fahren und sie um die Adresse zu bitten oder ihr wenigstens einen Bumerang in die Tasche zu stecken, als Symbol für die Hoffnung, dass sie zu mir zurückkäme.
Zu Hause holte ich den Handschuh und fuhr zum Flughafen; als ich ankam, war es allerdings schon so spät, dass sie bestimmt schon durch die Gepäckkontrolle gegangen war. Ich hatte sie verloren.
Dann aber sah ich, dass ihr Flug fünfzig Minuten Verspätung hatte. Ich überlegte, ob ich ein Ticket kaufen und mitfliegen sollte. Tags zuvor hatte ich meinen Hintern nicht hochgekriegt, und jetzt, da sie abreiste, hätte ich alles getan, um sie wiederzusehen. Es war, wie wenn man verlassen wird und am nächsten Morgen beim Aufwachen zu allem bereit ist, um sie zurückzugewinnen. Meistens ist es dann aber zu spät. Ein paar Minuten stand ich da und starrte auf die Anzeigetafel. Es kam mir vor, als nähme dieses Flugzeug einen Teil von mir mit sich. Es fühlte sich schal an, eine verpasste Gelegenheit. Dann ging ich.
Auf dem Weg durch das Flughafengebäude sah ich sie plötzlich: Sie saß in der Espresso-Bar. In meinem Herzen platzte ein Airbag. Unbändige Freude erfüllte mich. Wie angewurzelt blieb ich stehen und beobachtete sie. Schließlich ging ich auf sie zu. Als ich vielleicht noch zehn Meter entfernt war, kam von der Theke ein Mann etwa meines Alters, mit zwei Tassen in der Hand. Ich konnte gerade noch nach rechts abbiegen und hinter einer Wand verschwinden. Das Geräusch von Fingernägeln auf einer Schultafel in mir. Ohne mich umzudrehen, ging ich davon, aus Angst, sie könnte mich sehen. Erst als ich ein gutes Stück weit weg war, drehte ich mich um. Sie lachten. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Warten? Mich trotzdem von ihr verabschieden, als wäre ich rein zufällig vorbeigekommen? Oder weggehen?
Ich war traurig.
Ich verließ den Flughafen und fuhr auf direktem Weg in ein riesiges Einkaufszentrum. Dort »scheinkaufte« ich drei Wagen voller Sachen. Dann rief ich Silvia an: »Sie fährt nicht allein, da ist so ein Typ bei ihr.«
Silvia
Vor Jahren gaben Silvia und ich uns ein Versprechen: »Wenn wir innerhalb der nächsten fünf Jahre nicht die Liebe fürs Leben finden, machen wir zusammen ein Kind.«
Etwa drei Jahre nach dem Versprechen traf Silvia Carlo, sie heirateten, und das Kind beziehungsweise die Tochter, Margherita, machte sie mit ihm. Die Heirat änderte an unserer Freundschaft nichts. Anfangs war er ein bisschen eifersüchtig, was ich ganz normal finde, doch mit der Zeit verstand er unsere Freundschaft, und alles pendelte sich ein. Es ist schön, wenn der beste Freund eine Frau ist.
Eines Tages fragte Silvia mich, was ich
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