Noch ein Tag und eine Nacht
gleich aufgeben. Wir reden jetzt schon mehr als zwei Monate über sie.«
»Und was soll ich tun? Nach New York fliegen, den Freund verprügeln und ihr sagen, dass sie mir fehlt?«
»Na ja, irgendwas wirst du doch wohl im Sinn haben.«
»Weißt du, was mich an ihr so anzieht? Das Gefühl, dass wir uns schon immer gemocht haben, auch als wir uns nur anschauten. Außerdem hatte ich in der Bar den Eindruck, dass sie genauso aufgeregt war wie ich. Aber dann sage ich mir wieder, ich phantasiere mir nur was zurecht. Ich habe sie nie angesprochen, weil ich nicht wollte, dass sie mich für einen von dem Schlag hält, der meint, nur weil eine ihn anlächelt, will sie gleich mit ihm ins Bett. Man sollte aufpassen, sonst lächeln die Frauen irgendwann überhaupt niemanden mehr an. Es stimmt nicht, dass sie hochnäsig sind: Oft lächeln sie einfach deshalb nicht, weil die Männer das gleich als Aufforderung missverstehen. Diese Blicke hingegen, dieses Schweigen, diese Aufmerksamkeit und die Begegnung in der Bar waren so schön, dass ich Angst habe, alles zu banalisieren. Es ist, als wären wir uns in der Drehtür eines Hotels begegnet. Wir grüßen uns, aber wir gehen in unterschiedliche Richtungen. Glaubst du, dass es von der Situation, in der man einem Menschen begegnet, abhängt, was für eine Beziehung daraus entsteht?«
»Und ob. Heute dürfte mein Mann mich nicht mal mehr zu einem Eis einladen.«
»Aber wenn diese Empfindungen nur ein Produkt meiner Einbildung wären, des Films, der in mir abläuft, wie stände ich dann da, wenn ich sie ansprechen würde? Ich müsste ihre Telefonnummer ausfindig machen, sie anrufen und fragen, ob sie mir eine Kopie ihres inneren Films schickt, um zu sehen, ob er meinem ähnelt: Hallo, Michela? Hör mal, ich wollte dich fragen, ob’s dir recht wäre, wenn wir unsere Filme austauschen, um zu sehen, ob sie sich ähneln oder ob es zwei ganz unterschiedliche Filme sind, die wir da sehen und leben.«
»Früher oder später muss man sich den Problemen stellen. Du kannst nicht immer weiterfliehen.«
»Und wovor fliehe ich?«
»Vor deiner Verletztheit. Sobald dir jemand weh tun könnte, nimmst du Reißaus.«
»Und was soll ich dagegen tun?«
»Du hast mit den Jahren eine Mauer um dich errichtet, besonders gegen Frauen. Ich kann sie förmlich sehen. Bei unserer kurzen Geschichte war sie auch schon da. Das Problem ist, dass du dabei selbst zur Mauer geworden bist. Eine Mauer, um die man herumlaufen kann, ohne sie je zu überwinden. Das zeigt sich auch darin, dass du in deinem Alter immer noch so wenig geregelt kriegst. Dein Kühlschrank ist immer leer. Die Bilder hängen noch nicht. Oft vergisst du, wo du das Auto geparkt hast. Du bist unordentlich. Oft lustlos. Und in letzter Zeit auch sichtlich angeödet.«
»Das ist eine natürliche Reaktion auf die Ordnungswut meiner Mutter.«
»Du gehörst zu den Leuten, die das Telefonbuch ihres Handys durchstöbern, um zu sehen, mit welcher Frau sie heute ausgehen könnten. Aber eigentlich bist du nicht wie die anderen. Du bist neugierig, kreativ, du hast Reisen gemacht und gelernt, dich rasch zurechtzufinden, du hast deinen Weg eingeschlagen. Das Einzige, was du bisher noch nicht auf die Reihe gekriegt hast, sind deine Beziehungen. Ich habe gelernt, die richtige Distanz einzuhalten, sonst würdest du nämlich auch vor mir flüchten. Allerdings hat es gedauert, bis du mir vertraut hast. Trotzdem, ich weiß, dass du früher oder später erwachsen wirst. In dem Sinne, dass du lernst, Klarheit und Struktur in dein Leben zu bekommen. Gelassenheit. Das habe ich schon immer gedacht, und meiner Meinung nach sind deine Krise, dieses Angeödetsein und dieses Interesse für Michela Antworten darauf – die berühmten Türen, die man öffnen muss, um zu einem neuen Lebensabschnitt zu gelangen.«
»Türen?«
»Manchmal sind Menschen nichts als Türen, Durchgänge. Du für mich, ich für dich. Das gilt sogar für Unbekannte, jede Begegnung ist eine Tür. Michela zum Beispiel könnte eine Chance sein, ein Ausweg. Vielleicht findest du bei ihr Dinge, die dich weiterbringen.«
»Silvia, du weißt, dass ich nicht der Typ bin, der in einen Flieger steigt und einer unbekannten Frau hinterherfliegt, nur weil er dauernd an sie denken muss.«
»Also, anstatt immer dieser Typ zu sein, könntest du ja mal versuchen, dich anders zu verhalten. Erfinde einen neuen Giacomo, nur einmal. Was spricht dich an, worüber gerätst du ins Träumen, woran denkst du gern in diesem
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