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Noch ein Tag und eine Nacht

Noch ein Tag und eine Nacht

Titel: Noch ein Tag und eine Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Volo
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Moment deines Lebens?«
    »Du kennst die Antwort schon: Michela. Sie lässt mich träumen, in ihr sehe ich eine ganz unbekannte, mir fremde Welt.«
    »Also, wenn du ein bisschen aus deiner Rolle hinauswillst und Michela dich anzieht, dann solltest du diese Tür vielleicht öffnen. Warum reist du nicht nach New York? Komm schon, wenn du merkst, dass es ein Fehler war, fliegst du einfach wieder nach Hause. Aber wenigstens hast du es versucht.«
    »Aber was würde das ändern, wenn ich nach New York fliegen würde? Ich wäre doch kein anderer, wenn wir uns begegnen – vorausgesetzt, ich finde sie überhaupt.«
    »Und ob du ein anderer wärst, denn du wärst nämlich das Risiko eingegangen, dich lächerlich zu machen. Aber nein, lieber nicht. Zu riskant.«
    »Die Frau ist sechsunddreißig und keine fünfzehn.«
    »Was soll das heißen? Das hat nichts zu bedeuten. Du kennst die Frauen nicht.«
    »Du meinst also, dass ich ihr nicht hinterherfahre, kommt nicht daher, weil es sinnlos ist, sondern weil ich in Wirklichkeit Angst habe, mich lächerlich zu machen?«
    »Genau! Um sich lächerlich zu machen, braucht es Mut. Und den hast du bei einer Frau noch nie gehabt. Bei Michela hattest du nicht die Kontrolle über die Situation, also hast du aufgegeben. Der Freund ist bloß eine Ausrede, ich kenne dich. Ich bin gespannt, was du dir noch alles ausdenkst, um deine Untätigkeit zu rechtfertigen. Ich weiß, wie du tickst, du wirst schon deine Gründe finden, damit ja alles wieder den gewohnten Gang geht.«
    Mein Handy klingelte. Es war Dante.
    »Rat mal, wer das ist, Silvia.«
    »Dante?«
    »Du sagst es.«
    Ich hatte mich sehr gefreut, als wir uns neulich zufällig in die Arme gelaufen waren, doch seither bombardierte er mich mit Anrufen und SMS. Er wollte unbedingt mal abends mit mir weggehen, aber ich hatte keine Lust. Wir hatten nicht mehr viel gemeinsam, zumindest kam es mir so vor. Es gibt Menschen, die meide ich, weil ich nach jeder Begegnung das Gefühl habe, sie würden mir meine Energie rauben. Sie entladen mich. Dante war so einer, aber er war hartnäckig. Manchmal machte er einen auf schlau und rief mich mit unterdrückter Nummernanzeige an. Ich wusste trotzdem, dass er es war. Und ging nicht dran.
    »Ich weiß nicht, wie ich ihm beibringen soll, dass ich keine Lust habe, ihn zu treffen. Es ist ja schon schwer, mit einer Frau Schluss zu machen, aber mit einem Freund… Wie soll man einem Freund sagen: Ich verlasse dich? Man kann nur abwarten, bis er’s kapiert hat.«
    »Du musst es ihm nicht sagen, er wird es schon irgendwann kapieren. Ich wüsste auch nicht, wie man mit einem Menschen gleichen Geschlechts Schluss macht.«
    »Als ich neulich seine Nummer einspeicherte, habe ich seinen Namen verändert. Er heißt jetzt nicht mehr Dante, sondern Quasseldante. Manchmal lässt er nicht locker, dann legt er auf und ruft gleich noch mal an. Ich merke das daran, dass das Licht aus- und wieder angeht.«
    Plötzlich sah ich Silvia auf eine Weise an, die sie schon kennt. Sie weiß dann, jetzt ist Schluss mit lustig, und ich will ihr etwas Ernstes sagen.
    »Glaubst du, ich werde es bereuen?«
    »Dass du bei Dante nicht drangegangen bist?« Ernst fügte sie hinzu: »Wenn du Michela meinst… wer weiß? Das ist ja das Schöne am Risiko.«

Ein abwesender Vater
    Mit sieben war ich mal für zwanzig Minuten ein Genie. Dann kam die Finsternis. Ich unterhielt mich mit meinen Freunden darüber, was die Lehrerin am Morgen im Unterricht gesagt hatte. Dass nämlich die Erde vierundzwanzig Stunden braucht, um sich einmal um sich selbst zu drehen, und dreihundertfünfundsechzig Tage und sechs Stunden, um einmal die Sonne zu umrunden. Weshalb es alle vier Jahre einen 29.   Februar gibt. Vier mal sechs ist vierundzwanzig. Wir redeten über die Schwerkraft und wie weit es bis Amerika war.
    Ein älterer Mann, der in unserem Haus wohnte, hatte uns mal erzählt, Amerika liege am anderen Ende der Welt, aber Paris könne er uns jetzt gleich zeigen, wenn wir wollten. Zwischen Paris und New York sahen wir keinen großen Unterschied, für uns war beides eine andere Welt. Neugierig sagten wir ja. Da packte der Mann unsere Köpfe auf Höhe der Ohren und hob uns einen nach dem anderen hoch. Ich weiß noch, dass ich seine Handgelenke umklammerte, um das Gewicht zu verringern und den Schmerz zu lindern. Das tat vielleicht weh!
    Während wir zwischen seinen Händen in der Luft hingen, fragte er uns, ob wir jetzt Paris sähen. Wie grausam! Der Mann hat auch

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