Noch ein Tag und eine Nacht
Gegenstände, die mich an sie erinnerten, verschwinden, denn ihr Anblick war wie ein Stich ins Herz. Ich hörte die Lieder nicht mehr, die wir uns zusammen angehört hatten. Pullover, Schals, Mützen – ich warf alles weg. Ich konnte nicht mal mehr mein Aftershave benutzen, weil ich es gekauft hatte, als ich sie kennenlernte, und es immer auflegte, wenn ich mit ihr ausging. Die einzige Regel, die ich einfach nicht befolgen konnte, war »Wie du mir, so ich dir«. Zumindest in der ersten Zeit.
Anfangs hatte ich nicht gedacht, dass etwas Ernstes daraus werden würde. Sie hatte schon immer zu meinem Freundeskreis gehört, mit dem ich abends ausging. Irgendwann küssten wir uns, ohne den anderen etwas zu sagen. Unsere Geschichte begann heimlich. Eines Abends, wir hatten den Nachmittag zusammen verbracht, waren wir mit den anderen zum Pizzaessen verabredet. Bei Tisch sahen wir uns an und mussten lachen. Heimlich schob ich ihr einen Zettel zu, auf dem Schmatz stand. Der Kuss, den ich ihr vor den anderen nicht geben konnte.
Sie gefiel mir, aber da wir uns schon ewig kannten, dachte ich, dass es mit uns nichts Ernstes werden würde, und nach einem Monat bändelte ich sogar mit einer anderen an. Doch anhand gewisser Kleinigkeiten merkte ich, dass Camilla mir noch mehr bedeutete. Eines Abends malten sich meine Kumpels, die von all dem nichts ahnten, die Stellungen aus, wie sie mit ihr schlafen würden. Ich fand das doof. An einem anderen Abend, Camilla war auch dabei, fragte Luciano mich plötzlich, wie es mit der anderen lief. Ich stritt ab, überhaupt etwas mit der zu haben, aber da lachten sie mich nur aus. Camillas Reaktion zeigte mir, dass es ihr ernst war. Am Abend selbst sagte sie nichts, sie sah zu Boden und ließ sich von den anderen ablenken. Doch am nächsten Tag rief sie die andere an und sagte: »Wenn du verliebt bist, tu, was du willst, aber wenn nicht, dann lass ihn mir. Ciao.« Und knallte den Hörer auf die Gabel. Beeindruckend. Danach waren wir ein Paar. Offiziell.
Mit der Zeit verliebte ich mich richtig in sie. Wirklich seltsam, mit einer Frau, die man schon jahrelang kennt, eine so schöne Liebesgeschichte zu erleben. Eines Abends hätte ich fast den Motor meines Autos gekillt, weil es so schön war, beim Fahren ihre Hand zu halten, dass ich sie nicht loslassen wollte, um zu schalten. Und so fuhren wir die ganze Zeit im zweiten Gang.
Als ich entdeckte, dass sie mich betrog, flüchtete ich wie damals als kleiner Junge vor der Welt – ich begann zu schreiben. Ich wollte eine andere Welt erfinden, mir einen guten Helden ausdenken. Er war ein besonderer Mensch, der anderen half und die Leute glücklich machte. Ich schrieb und schrieb und schrieb. Ich versuchte mich in einen Winkel zurückzuziehen, vor allen und allem verborgen, in mich gekehrt, um zu schreiben, mit dem Rücken zur Welt. Als wäre die Welt die Vergangenheit, als wäre das Schreiben ein kleines stilles Boot, meine Zeitmaschine, unterwegs zu einer vollkommenen Welt der Zuwendung und Ruhe. Das Schreiben war der Versuch, die Welt wieder ins Lot zu bringen und an mich heranzulassen. Die Seiten meines Hefts waren derart vollgeschrieben, dass das Papier beim Umblättern knisterte. Schon als Kind hatte ich Geschichten über einen Helden geschrieben, der übernatürliche Kräfte besaß. Irgendwann konnte ich nicht mehr zwischen ihm und mir unterscheiden: Als ich im Fernsehen einen Mann sah, der nur durch Willenskraft einen Löffel verbog, holte ich einen Löffel und starrte ihn eine Stunde lang an, und schließlich schien es mir tatsächlich so, als wäre er ein wenig verbogen. Dabei hatte ich mich nur vor Müdigkeit nach vorn gebeugt.
Nach jenem Abend wollte ich auch Andrea nicht mehr sehen. Manchmal begegneten wir uns auf der Straße, aber ich ging ihm immer aus dem Weg.
Ich hätte nicht gedacht, dass ich so reagieren würde. Schweigend, ausweichend. Ohne von ihm eine Erklärung zu fordern. Sie waren noch immer zusammen – was wollte sie da jetzt von mir, nach all den Jahren? Obwohl viel Zeit vergangen und ich mittlerweile darüber hinweg war, hatte ihre Nachricht meinen Tag durcheinandergewirbelt. Ich brauchte mehr als vier Stunden, bis ich den Mut aufbrachte, sie anzurufen. Als ich ihre Stimme hörte, spürte ich eine Hitze in den Beinen, ein Feuer, das immer höher stieg, bis ins Gesicht. Ich solle mir keine Sorgen machen und ganz beruhigt sein, sagte sie gleich, es sei nichts Schlimmes, nur ob wir uns mal treffen könnten, sie müsse mit
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