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Noch ein Tag und eine Nacht

Noch ein Tag und eine Nacht

Titel: Noch ein Tag und eine Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Volo
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Die Mitteilung blieb an der Oberfläche, sie überwand nicht meine Verteidigungsmauern. Vielleicht ärgerte ich mich mehr darüber, dass sie es mir nicht früher gesagt und vor mir geheim gehalten hatte. Ich war verwirrt.
    »Wieso hast du nie was gesagt?«
    »Ich weiß nicht, ich hatte Angst. Einerseits wollte ich dich nicht mit hineinziehen, ich wollte nicht, dass du es wusstest, denn so lag die Entscheidung allein bei mir. Andererseits hatte ich auch Angst, du würdest das Kind behalten wollen, aber ich liebte dich doch nicht mehr. Wenn ich ehrlich bin, hast du mir zwar immer gefallen, aber ich konnte mir dich nie als Vater meiner Kinder vorstellen. Es war schwer, darüber wegzukommen. Du weißt ja nicht, wie oft ich in all den Jahren geweint habe, wenn ich daran dachte. Anfangs ging es mir schon schlecht, wenn jemand mir ein Kompliment machte. Da dachte ich immer: Das sagt ihr nur, weil ihr nicht wisst, wer ich wirklich bin. Selbst mit Andrea: Ich habe still gelitten, ohne dass er den Grund dafür kannte.«
    »Hast du es ihm nie gesagt?«
    »Nein. Davon wissen nur du und Federica. Ich habe mir das lange übelgenommen, aber ich war noch sehr jung, und jetzt muss ich nach vorne schauen. Schon bevor ich dich neulich in der Buchhandlung traf, habe ich an dich gedacht und den Wunsch gehabt, es dir zu erzählen. Und als du plötzlich vor mir aufgetaucht bist, nahm ich das als Zeichen. Entschuldige.«
    Wir blieben noch ein bisschen in der Bar. Sprachen über anderes. Sie hatte noch immer gerötete Augen. Wie sie so vor mir saß, nach dieser Beichte, wurde mir bewusst, wie sehr sie gelitten hatte, wie sehr sie dieses Geheimnis belastet hatte. Ich entdeckte, dass mich diese Frau immer noch anzog, aber anders. Sie würde mich nach diesem Treffen womöglich nie mehr sehen wollen, aber ich wusste, dass sie mir als eine der wichtigsten Empfindungen meines Lebens erhalten bleiben würde, im Guten wie im Schlechten. Am liebsten hätte ich jene pathetischen Worte zu ihr gesagt, die gewöhnlich von Herzen kommen und die man oft nicht zurückhalten kann: Was auch passiert, Camilla, ich werde immer für dich da sein. Ich sagte sie nicht. Ich dachte sie nur. So wirkte das Versprechen aufrichtiger.
    Auf dem Nachhauseweg überlegte ich, dass ich das Kind damals vielleicht auch nicht gewollt und auch kein schlechtes Gewissen gehabt hätte. Ein schrecklicher Gedanke, typisch Mann. Ich stellte eine schnelle Berechnung an: Dann hätte ich jetzt ein zehnjähriges Kind. An diesem Abend dauerte es eine Weile, bis ich einschlief.
    Ich war nicht erschüttert, so schlimm das klingen mag, mir war höchstens unwohl in meiner Haut. Ich war gereizt, wie wenn man im Sommer mit Flipflops läuft und abends ins Bett geht, ohne sich die Füße gewaschen zu haben. Ein leises Kribbeln irgendwo ganz unten.

Frauen und Unglück
    Etwa drei Uhr nachmittags. Es schneite. Komisch, Ende März noch Schnee. Die Flocken waren so leicht, dass manche wieder hinaufflogen. Allerdings konnte ich sie in diesem Augenblick nicht sehen, weil ich auf dem Boden meiner Dusche lag. Das Wasser prasselte weiter auf mich herunter, schaffte es aber nicht, das Blut fortzuwaschen, das mir aus Lippe und Nase lief.
    Ich war nicht von selbst gefallen.
    Beim Einseifen hatte sich plötzlich der Vorhang geöffnet, dann Finsternis. Den ersten Faustschlag hatte ich gar nicht kommen sehen. Ich schlug mit dem Kopf gegen die Wand. Dann fünf, sechs weitere Schläge, und als ich schon am Boden lag, noch ein paar Fußtritte hinterher. Während der Unbekannte auf mich einprügelte, beschimpfte er mich laut brüllend. Dann die Stimme von Monica: »Das reicht jetzt, hör auf, du bringst ihn ja um!«
    Sie verschwanden. Erst nach mehreren Minuten konnte ich mich hochrappeln und im Spiegel betrachten. Geschwollene Lippe, geschwollenes Auge, blutende Nase. Der Kiefer muss gebrochen sein, dachte ich. Mein Atem ging schwer, als hätte ich mich soeben total beim Laufen verausgabt. Im Mund hatte ich den metallischen Geschmack von Blut.
    Ich öffnete das Fenster. Es schneite noch immer. Der Hof unten war vollkommen weiß und wegen des Schnees an diesem Samstagnachmittag noch stiller als sonst. Nackt und nass stand ich am geöffneten Fenster, aber mir war nicht kalt. Ich spürte nur das Pochen in meinem Gesicht. Am liebsten wäre ich hinuntergegangen und hätte mich in den Schnee gelegt, mich von dieser Stille einhüllen lassen.
    Ich schloss das Fenster und rief Silvia an.
    »Ist Margherita noch bei den

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