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Noch ein Tag und eine Nacht

Noch ein Tag und eine Nacht

Titel: Noch ein Tag und eine Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabio Volo
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mir reden. Wir verabredeten uns auf einen Aperitif nach Feierabend.
    Ich malte mir aus, dass sie es bereute, dass sie in Wirklichkeit immer noch mich liebte und das erst jetzt bemerkt hatte. Dass ihre Liebe zu mir wieder neu aufgeflammt war.
    Vielleicht will sie auch nur noch mal mit mir ins Bett, wie in alten Zeiten, phantasierte ich.
    Ich war vor ihr in der Bar. Während ich wartete, fiel mir auf, dass niemand mehr den Kaffee wie früher bestellt. Früher ging man in eine Bar und sagte: »Espresso«, oder, wenn’s hoch kam, »Macchiato«. In den wenigen Minuten, die ich allein dasaß, bestellten die Gäste ihren Espresso entkoffeiniert, gefiltert, aus Malz, in der großen Tasse, in der kalten Tasse, mit einem Schuss warmer Milch, mit einem Schuss kalter Milch, mit mehr Wasser, im Glas.
    Als Camilla kam, hatte ich erst mal zehn Minuten schwitzige Hände, meine Stimme zitterte, mein Hals war ausgetrocknet. Ich hatte keine Power mehr, wie Superman bei Berührung mit Kryptonit. Ich hatte meine Gefühle nicht unter Kontrolle.
    Nach den ersten Floskeln, »Wie geht’s? Alles klar? Was macht die Arbeit?«, empfing ich zwei erschütternde Neuigkeiten. Die erste war, dass sie und Andrea heiraten wollten.
    Für mich war Camilla Schnee von gestern, eine alte Geschichte. Dass sie heiraten würde, traf mich trotzdem. Aber natürlich war das keine Einladung, deshalb hatte sie es nicht erzählt. Sie wollte vor der Heirat noch etwas loswerden. Sie hatte das Gefühl, da sei noch was, worüber wir vielleicht reden sollten.
    Da saß Camilla also mir gegenüber. So viel Zeit war vergangen, und doch widerstand ich nicht der Versuchung, sie zu fragen, warum sie es getan hatte und ob sie es nie bereut habe.
    »Es war falsch und unfair von mir, und das tut mir unendlich leid. Aber du hast mit deiner Eifersucht meinen Seitensprung regelrecht provoziert. Hättest du mich nicht so eingeengt, wäre ich dir treu geblieben. Ich fand dich klasse und war total in dich verliebt. Auf alle Arten habe ich versucht, dir das begreiflich zu machen, doch irgendwann merkte ich, dass es dir gar nicht um mich ging. Dass du nicht wegen meines Verhaltens eifersüchtig warst, denn wegen all deiner Verfolgungs- und sonstigen Ängste und Obsessionen benahm ich mich ja wie eine Nonne. Du wurdest zum Verstärker meiner Einsamkeit. Mit dir fühlte ich mich noch einsamer. Ich will mich nicht rechtfertigen, ich weiß, dass ich mich falsch verhalten habe, aber erinnerst du dich noch an all die Stunden, die wir schweigend verbracht haben, weil du sauer warst? Als du mich mit Andrea ertappt hast, war ich erst das zweite Mal mit ihm aus. Es war noch kein richtiges Verhältnis, nur ein paar Küsse. Ich hatte zuvor schon versucht, die Kraft und den Mut aufzubringen, dich zu verlassen, es aber nicht geschafft. Doch mit den Gedanken war ich schon woanders. Jedes Mal, wenn wir miteinander schliefen, war es, als würde ich dich betrügen. Ich hatte schon alles kaputtgemacht. Du musstest es nicht groß entdecken. Du hast nur alles ein wenig beschleunigt und mir allein alle Schuld und Verantwortung zugeschoben.«
    Ich wusste, dass sie recht hatte. Aber ich sagte es nicht. Ich schwieg, um mich ein wenig zu rächen.
    »Hör zu, Giacomo, ich muss dir etwas sagen, das dich wahrscheinlich verletzen wird. Ich weiß, es ist egoistisch, aber ich muss es dir sagen.«
    »Willst du noch mal mit mir schlafen, bevor du heiratest?«
    »Mach jetzt bitte keine Witze, es ist etwas Ernstes…«
    Ich wusste nicht, ob ich es wirklich hören wollte. Ihre Rede genügte mir schon vollauf.
    Sie schwieg eine Weile, dann sagte sie: »Weißt du, bevor ich mich entschloss, andere Männer anzuschauen, da ist etwas passiert, das mir gezeigt hat, dass ich nicht mehr mit dir zusammen sein wollte. Etwas Wichtiges, das ich dir nie gesagt habe.«
    Sie brach ab. Ihre Augen glänzten und füllten sich rasch mit Tränen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Instinktiv wollte ich sie in den Arm nehmen, aber ich wusste nicht, ob ich durfte, ob es richtig war, ob… Ich wusste nicht mehr, wo die physische Grenze zwischen uns verlief.
    Schließlich legte ich meine Hand auf ihre. »Was ist los, Camilla?«
    Sie schluchzte, dann zog sie die Nase hoch und sagte: »Giacomo, drei Monate, bevor ich dich verließ, da… habe ich abgetrieben!«
    Ich war wie versteinert. Weil die Mitteilung mich so erschütterte? Weil ich völlig unbeteiligt war? Ich wusste es nicht. Kein heftiges Gefühl, alles nur auf der Ebene des Verstands.

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